Oder warum ich viel lese und Generalisten mag.

Dilettantismus ist im deutschen ein eher negativ konnotiertes Wort, dabei ist es doch eigentlich ein ganz wunderbares Ding. Bei Wikipedia steht dazu:

„Ein Dilettant ist ein Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft, der sich ohne schulmäßige Ausbildung und nicht berufsmäßig damit beschäftigt. Als Amateur oder Laie übt er eine Sache, um ihrer selbst willen aus, also aus Interesse, Vergnügen oder Leidenschaft und unterscheidet sich somit von einem Fachmann.“

So geht es mir mit sehr vielen Themen. Ich finde unfassbar viele Dinge spannend und weiß kuriose Fakten über die Tiefsee, Pflanzen und das Weltall, Kaffee, Katzen und Cartooncharaktere, die mich zur beliebten Smalltalk-Partnerin machen. Wenn es um Analysis und Bruchrechnung geht, da sieht es mit der Liebhaberei dann etwas anders aus und welche Städte, Flüsse, Länder wo liegen, weiß ich für einen Sekundenbruchteil, wenn ich es brauche und dann ist es ZACK gelöscht. Was ich aber eigentlich sagen will. Nicht jeder Mensch, der sich dilettantisch mit etwas beschäftigt, baut Mist, aber so wird das Wort ja heutzutage oft benutzt: Das ist aber ein dilettantisch zusammengebauter Schrank. Ein dilettantisch gehaltener Vortrag.

Eigentlich zeugt doch Dilettantismus vom leidenschaftlichen Interesse einer Person an einem Thema außerhalb des unmittelbaren Dunstkreises. Ich versuche mal eine Lanze für dieses Wort zu brechen.

Episode 1 Das 18. Jahrhundert

Vorweginfo: Ich mag lieber die Underdogs und nicht die umfeierten Helden. Vielleicht auch weil ich an der Friedrich-Schiller-Uni studiert habe, mag ich daher Schiller lieber als den omnipräsenten Goethe. Ich mag auch die Mona Lisa nicht, van Gogh oder Beethovens 9. Aus Prinzip, weil alle das toll finden. Die Mehrheit der Deutschen liest ja auch die Bild und nicht Die Zeit, also hat sich in meinem beengten Denken unterbewusst eingebürgert: Was die Masse mag, ist per se nicht das Beste, Coolste oder Wichtigste. Beinahe wäre so auch Harry Potter an mir vorbeigegangen, aber der hat mich dann doch noch erwischt. Warum nun aber Schiller und Goethe. Weil die 1799 mehrere Fragmente zum Thema Dilettantismus verfasst haben, in denen es allerdings hauptsächlich um die Künste ging und die Beschäftigung von „Weibern, Reichen und Vornehmen“ damit, wobei es Ihnen darum ging zu zeigen, dass sozusagen Hobby-Schriftsteller oder Dichter niemals vergleichbar mit ausgebildeten und geschulten Literaten sein können, weil ihnen dies und jenes fehlt. Besonders die Feminismus-Forschung hat sich mit Freuden auf diese Ergüsse gestürzt, weil sie Frauen die Fähigkeit mehr oder weniger absprachen etwas schöpferisches zu vollbringen. (Sehr kurz zusammengefasst und keineswegs wissenschaftlich fundiert gesagt). Vielleicht kommt die negative Auslegung ein Stück weit hierher.

Episode 2 Anfang der 90er Jahre

Dilettantismus ist also eigentlich was Negatives, sagt Goethe. Meine Philosophie-Lehrerin in der Schule hat immer gesagt, man soll aus den philosophischen Schriften das rausziehen, was man versteht. Wenn man das Werk nochmal liest, wird es mehr sein, als zuvor und so kann man sich nach und nach Wissen und Verständnis aufbauen. Aber bereits das erste Verstehen, hilft der eigenen Weiterentwicklung. Wenn ich nun den Aspekt der Wortursprungs nehme und mich über das Lateinische bzw. das Italienische an die Beschäftigung mit dem Begriff mache und Goethe Goethe sein lasse, dann bedeutet es (in Teilen wiederhole ich mich, aber das hilft dem Verständnis ja uch nicht selten): Dilettant (von italienisch dilettante, Partizip Präsens aus dilettarsi, wie italienisch dilettare, „jemanden begeistern/erfreuen; liebhaben“, von lateinisch delectari „sich erfreuen“, „sich ergötzen“) ist ein Liebhaber einer Kunst oder Wissenschaft, der sich ohne schulmäßige Ausbildung und nicht berufsmäßig damit beschäftigt. Als Amateur oder Laie übt er eine Sache um ihrer selbst willen aus, also aus Interesse, Vergnügen oder Leidenschaft und unterscheidet sich somit von einem Fachmann. Dabei kann er vollendete Kenntnisse und Fertigkeiten erlangt haben; solange er die Tätigkeit (als „Liebhaberei“) nicht beruflich bzw. für seinen Lebensunterhalt ausübt oder eine anerkannte einschlägige Prüfung bestanden hat, gilt er als Dilettant. Danke Wikipedia. Hah, das klingt doch schon viel besser und kommt genau damit einher, weswegen ich den Begriff eigentlich ziemlich gut finde.

Episode 3 – 2000er Jahre

Marcus hat ja Forstwissenschaften studiert und mal gesagt, sein Prof meinte immer, sie werden zu Universaldilettanten ausgebildet. Das gleiche gilt irgendwie auch für Geisteswissenschaftler. Ich habe Kunstgeschichte studiert, aber natürlich durch Nebenfächer und Interessensschwerpunkte auch Wissen in Geschichte, Sprachwissenschaften, Religionswissenschaften, Psychologie, Archäologie, Ethik, Medienwissenschaften, Literaturwissenschaften, Politik und Jura erworben. Man versteht ein Kunstwerk beispielsweise aus dem Pinsel von Rembrandt deutlich besser, wenn man weiß, wie das mit Spanien und den Niederlanden war, welche Konfession gerade in war, wie das mit dem Humanismus stand, welche Bücher man kannte und las und wie die Gesellschaft, die Wirtschaft und das politische System funktionierte. Also ist es in diesem Fall auch wieder gut sich mit allem möglichen rund um das eigentliche Objekt der Beobachtung zu beschäftigen.

Episode 4 – 2010er Jahre

Einige Jahre lang war es für mich immens wichtig zur re:publica nach Berlin zu pilgern. Da waren interessante Menschen, die über spannende Themen nachdachten und ihr Erdachtes auch noch in Vorträgen zum Besten gaben. Einer der Menschen, die mich da sehr nachhaltig beeindruckt haben, war Holm Friebe. Das lag daran, dass dieser Mann unfassbar belesen war. Er hatte in einem Jahr in einer Diskussion immer das passende Zitat parat und konnte eigentlich jedes Argument seines Gesprächspartners durch Thesen und Theorien anerkannter Forschung entkräften bzw. die eigene Meinung dadurch als das glaubwürdigere Beispiel erscheinen lassen. Ich war echt von den Socken und hab mir vorgenommen breiter gestreut zu lesen.

Episode 5 Heute

Im Design Thinking spricht man von T-Shaped People, das Buch von David P. Epstein über Generalisten wird die Bestseller-Listen rauf und runter gefeiert und auf Karriereportalen gibt es zuhauf Artikel die Generalisten und Spezialisten gegenüber stellen und einen klaren Sieger küren wollen, was sie dann aber nie machen, weil sie wohl niemanden vor den Kopf stoßen wollen und weil man vielleicht gar nicht unbedingt ein Lager wählen will. Bei der Karrierebibel steht beispielsweise zum Generalisten „Gemeint sind Menschen, die eine enorme Wissensbreite bei vielen Themen haben und daher auch vielfältige Aufgaben in unterschiedlichen Bereichen übernehmen können. Allerdings gehen die Kenntnisse des Generalisten nirgends so wirklich in die Tiefe. Weniger wohlwollend sehen manche in ihm eher einen Nichtskönner.“ Demgegenüber steht der Spezialist als Fachidiot, boshaft gesprochen. Eigentlich sind Generalisten also irgendwie nichts anderes als Universaldilettanten.

Fazit:

Ich merke immer wieder, dass ich enorm davon profitiere, wenn ich mich mit Generalisten umgebe. Mit Menschen, die viel lesen und interessiert sind und über eine breite Themenstreuung verfügen. Bin ich mit dieser Art Mensch zusammen, habe ich immer ein Stück Papier zur Hand, auf dem ich Buch-, Musik-, Film-, Artikel-, Podcast- oder Keyword-Tipps notiere oder Persönlichkeiten, mit denen ich mich mal beschäftigen will, Funfacts oder Inspirationen für Wissensbissen. Die Spezialisten brauche ich meistens nur, wenn ich auf irgendeine Form von Problem stoße, wo ich allein die Lösung nicht finde oder wenn ich tatsächlich Detailwissen zu einem ganz konkreten Thema brauche. Die ruf ich aber nicht an, wenn ich einfach nur Zerstreuung suche, oder eine gute Zeit haben möchte. Einige wenige Menschen, die ich kenne sind beides in Personalunion. Und wie ist das bei dir? Was bist du, was magst du um dich haben?