Tag 1: Was möchte ich lernen?
In den kommenden Tagen möchte ich mich mit der Methode des Lerntagebuchs auseinander setzen. Es erscheint mir als gute Methode das eigene Lernen zu reflektieren und dadurch zu intensivieren. Wenn das Erlebte reflektiert wird, wird es den Lernenden stärker bewusst und ist klarer präsent… So meine Hypothese.
Also werfe ich die Internet-Suchmaschine an und öffne konsequent die ersten 10 Seiten, die mir vorgeschlagen werden, jede in einem Tab. Das Führen eines Lerntagebuchs hat, didaktisch, den Anspruch die Reflexion des Lernprozesses anzuregen und soll die Lernfortschritte aufzeigen. So weit, so logisch. Ich stelle es mir vor, wie beim Sketchnoten: wenn das Skizzenbuch voll ist, blätterst du noch mal durch und siehst deine Entwicklung und die verschiedenen Themen, mit denen du dich beschäftigt hast.
Ein Lerntagebuch ist mehr als die klassische Mitschrift, während ich einem Vortrag lausche, mir ein Erklärvideo anschauen oder einen Artikel lese. In einem Lerntagebuch setze ich mich mit dem Gelernten noch tiefer auseinander.
Gut, im schulischen Kontext geht es darum, den Wissenstransfer von der lehrenden zur lernenden Person deutlich zu machen… Wie ist das mit Personen, die freiwillig lernen?
Beim Führen eines Lerntagebuchs ergibt sich die Möglichkeit neues Wissen und bereits vorhandenes Wissen miteinander zu verknüpfen und (sich selbst) deutlich zu machen. Kann das nicht eine Stärke z.B. für Unternehmen sein? Kann so Mitarbeitenden-Wissen vielleicht für das Unternehmen “haltbar” gemacht werden? Würde das bedeuten, dass Mitarbeitende in einem Unternehmen ihren Arbeitsalltag protokollieren… Oder ihre wichtigsten Erkenntnisse in eine Datenbank eingeben? Vielleicht gibt das auch Probleme mit dem Datenschutz? Sicher mit dem Betriebsrat.
Die Privatheit des Dokuments ist nicht nur im betrieblichen Umfeld ein Knackpunkt. Wie kann erwartet werden, dass Lernende offen und ehrlich über ihr Lernen, ihre Lernhemmnisse, ihre Gedanken und Fragen Tagebucheinträge führen und dies dann offen legen? Der Anspruch sollte, falls es diesen gibt, von vornherein klar sein. Wer liest schon gerne öffentlich aus seinem Tagebuch vor oder lässt andere hineinschauen? Das empfinde ich als Hemmnis beim Führen eines Lerntagebuchs: der Wunsch des offenen Reflektierens steht im Widerspruch zu der späteren Öffentlichkeit des Dokumentes.
Was treibt mich noch um? Was möchte ich noch erfahren?
Die zehn Tabs sind ganz schön viel. Ich habe sechs mehr oder weniger gehaltvolle Artikel in Methodenbüchern und von Lernberatungen gelesen. Irgendwie ist mir deutlich geworden, wie privilegiert Menschen sind, die sich mit Optimierung von Lernen, vor allem dem ihrer Kinder, auseinandersetzen. Ich frage mich, wie gute Fragestellung die Reflexion des Lernens unterstützen können. Reicht die Reflexion wie sie häufig zum Abschluss von Seminaren durchgeführt wird: Was nehme ich mit? Was lasse ich hier? Was ist noch offen?
Tag 2: Welche Fragen können beim Führen eines Lerntagebuchs hilfreich sein?
Noch einmal durch die bisher gelesenen Seiten schauen: was könnte hilfreich sein beim Führen eines Lerntagebuchs? Das Gelernte soll in eigene Worte zusammengefasst und dann mit Beispielen oder Anwendungsideen verknüpft werden: Wo kann ich persönlich das Gelernte anwenden?
Auf einer Plattform für berufliche Netzwerke bin an einem Zitat hängen geblieben:
What do I want? Why do I want it? And how do I get it? – Stacey Abrams
In dem Post ging es um die Stärkung von Motivation. Dabei kommt mir der Gedanke, dass ein Lerntagebuch nicht nur zur Dokumentation und Reflexion von Gelernten genutzt werden kann. Es dient auch der Stärkung der Motivation: Wenn ich mir die persönliche Relevanz eines Themas deutlich mache oder ich mir selbst ein Ziel stecke, dann fällt es mir leichter dran zu bleiben.
Ich erinnere mich noch, dass in der Schule die Frage oft für mich offen blieb. Die Frage was an einem Thema das persönliche Interesse weckt, empfinde ich als guten Ausgangs- und Einstiegspunkt. Wenn die Lehrenden schon nicht sagen können, warum irgend ein mathematisches Konstrukt (ja, an dieser Stelle kann ich nicht mal ein Beispiel anführen, so irrelevant war Mathe für mich) für mein Leben später von Bedeutung ist, kann es doch die Lernmotivation stärken, selbst zu überlegen, was mich an einem Thema interessieren könnte. Welche Fragen oder Ideen habe ICH zu einem Thema. Und nicht, welche Antworten muss ich lernen, damit ich die passenden Fragen beantworten kann.
Es gibt vorgefertigte Dokumente zum Ausdrucken mit fünf Fragen: Was habe ich verstanden? Was habe ich nicht verstanden? Was möchte ich noch wissen? Was möchte ich den Lehrer/die Lehrerin fragen? Die fünfte Frage habe ich vergessen, schien wohl auch wieder irrelevant oder komplett lächerlich. Bei diesem Ausfüll-Dokument vergeht mir die Lust mich mit dem eigenen Lernen auseinander zu setzen. Es wirkt eher wie ein weiteres Ausdruck-Tool, das die Illusion von der guten Gestaltung des aktuellen Lernens an Bildungsstätten aufrecht erhalten soll. Und ich habe eigentlich einen wirklich seltsamen Faible zum Ausfüllen von Formularen… Formulare haben klare Strukturen und Intentionen. Die Erwartungen und, durch Ausfüllkästen, der Umfang der Antworten sind klar. Das macht -meiner Meinung nach- den Geist eher kleiner. Name, Adresse, Geburtsdatum… Da kannste abschalten, das bekommt man hin! Formulare haben klare Struktur und die erwarteten Ergebnisse sind deutlich, das regt nicht dazu an sich mit bestimmten Inhalten vertiefend auseinander zu setzen.
Ich glaube als Erwachsene, die ein Lerntagebuch führt, helfen offene Fragen. Besser als geschlossene oder Ankreuzfragen, die für jüngere Lernende empfohlen werden… Vielleicht zu Beginn eine Skala zur Tagesform oder Konzentration. Vielleicht noch eine Frage dazu, wie groß das (Zeit-)Fenster zum heutigen Lernen überhaupt ist. Dann sollte es darum gehen, welche Verständnisschwierigkeiten es vielleicht gab und wie diese aufgelöst werden können. Zu welchem Zeitpunkt das Lernen leicht fällt und wann nicht. Wie komplex das Thema erscheint, ob Informationen fehlen, was zukünftig an dem Thema relevant sein könnte, ob und was Neues gelernt wurde.
So richtig zufrieden bin ich mit den Anregungen und Fragen noch nicht! Ich würde gerne “gute” Reflexionsfragen finden, die mich in der Auseinandersetzung mit meinem Gelernten anregen. “Was habe ich heute gelernt, in meinen Worten?” ist mir irgendwie zu sperrig und schüchtert mich ein.
Tag 4: Was mache ich, wenn ich nichts gelernt habe?
Beim Lesen bleibe ich an einem Absatz hängen:
“Wenn Kinder sich um ihre Sicherheit, ihre Geborgenheit und ihre Zugehörigkeit sorgen müssen, fehlt ihnen die Freiheit, neugierig auf die Welt da draußen zu sein. Und fehlende Neugier hat negative Auswirkungen auf das Konzentrations- und Lernvermögen.” Philippa Perry: Das Buch, von dem du dir wünschst, deine Eltern hätten es gelesen (S.44)
Ich frage mich, ob diese Annahme nicht auch auf sämtliche Lehr-Lern-Situationen übertragen werden kann: wenn ich mich sicher und geborgen fühle, dann traue ich mich verletzlich zu sein. Dann kann ich offen Unwissenheit zugeben und Dinge in Frage stellen. Durch Bewertungen und Vergleiche, besonders auch im Bildungskontext, entsteht die Angst nicht so gut zu sein wie X oder von Y vorgeführt zu werden, weil er:sie es “besser” weiß. Und das ist auch eine Haltung, die wir im beruflichen Kontext beobachten können. Im Meeting wird nicht hinterfragt oder konstruktiv kritisiert, weil die Angst besteht sich selbst bloß zu stellen. Vielleicht ist das auch eine Schwäche von Lerntagebüchern, die übrigens auch Lernjournals oder Reflexionsbuch genannt werden könnten. Wenn ich vor der leeren Seite sitze und noch einmal rekapituliere, was ich gelernt habe, könnte ich mich vor mir selbst bloßstellen: Gar nichts.
Doch an der Stelle sollten wir einen Schritt weiter gehen. “Okay, gar nichts! Woran kann das gelegen haben? Habe ich die Möglichkeit etwas anders zu machen? Brauche ich etwas anderes?” Es braucht eine Offenheit sich selbst gegenüber und der Akzeptanz, dass Lernen ein Prozess ist. Die wenigsten Dinge klappen beim ersten Anlauf perfekt.
Heute wollte ich eigentlich gar nichts machen. Da sind noch fünf Tabs offen, die schaue ich mir beim nächsten Mal an, vielleicht finde ich noch gute Fragestellungen… Oder Impulse zum möglichen Einsatz von Lerntagebüchern im beruflichen Kontext. Vielleicht gibt es Zusammenhänge oder Parallelen zu “New Work”.
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