Vorne weg und ganz ehrlich: vielleicht liegt es nicht an dir, vielleicht liegt es an mir. Eventuell bin ich von einem Schwung Barcamps, Meetups und Community-Treffen so verwöhnt, dass ich in Konferenzen nicht mehr rein passe. Es besteht auch die Möglichkeit, dass ich den wertschätzenden und offenen Austausch mit tatsächlich Interessierten und Beschäftigten in den jeweiligen Bereichen mit so viel Mehrwert verbinde, dass es mir nun einfach schwer fällt einem Vorstand oder Geschäftsführer bei seinem irgendwo abgelesenen Monolog zuzuhören. Es besteht die Möglichkeit, dass ich an Tag zwei etwas wütend bin, dass über die Möglichkeiten und Innovationen der Digitalisierung in der Bildung gesprochen werden soll und dass innerhalb einer staubigen eins zu eins ins Digitale übersetzte Konferenz stattfinden soll.
Wie gesagt, vielleicht liegt es an mir und nicht an dir, liebe BitKom Bildungskonferenz 2022.

Auf der BitKom Webseite heißt es “Die Bildungskonferenz am 9. und 10. März 2022 vernetzt virtuell Politik, Wirtschaft, Bildungspraxis und Wissenschaft, um digitale Visionen für die gesamte Bildungskette zu entwickeln.” Es soll über Bildungspolitische Themen und Devices, Impulse und Innovationsmöglichkeiten der Digitalisierung im Bereich der Bildung gehen. Konkret gab es ca. 70 Speakerinnen, die an Roundtables oder in Panels über die gesamte Bandbreite der deutschen Bildungsinstitutionen über das FÜR und wider von Digitalisierung, politische Bemühungen und Forderungen aus der Wirtschaft sprachen. Sonst starten Konferenzen mit einem Grußworte von Minister:innen. Hier ist es eine Opening Keynote von Bettina Stark-Watzinger Bundesministerin für Bildung und Forschung (FDP). Ansonsten warte ich etwas auf die innovativen Ansätze. Ein Blick in die Liste der Speaker und Speakerinnen zeigt: Leiter, Direktor, Head of…, Geschäftsfüherin, Vorstandsvorsitzender, Bildungspolitischer Sprecher, Vorständler, CEOs… Mir fehlen die kreativen Köpfe, die Enthusiast:innen, die jungen Wilden, die mit Kreativität und Neugier Dinge anders machen. An drei Frauen bleibe ich hängen von denen ich gerne mehr gehört und gesehen hätte: Julia Freudenberg (Geschäftsführerin der Hacker School), Prof. Dr. Aysel Yollu-Tok (Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) und Katharina Fegebank (Zweite, hamburger Bürgermeisterin und Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung). Die Themen waren vielfältig, ich nenne hier nur einige Beispiele, das Programm war voll gepackt:

  • KI in der Bildung aus dem Blickwinkel eines Lehrer-Schüler-Tandems, eines Lehrkräftefortbildungsinstituts und aus der Sicht der Arbeitswelt
    Ampel auf Grün für die Digitale Bildung?
  • Das digitale 1 mal 1 – Wie gelingt frühkindliche digitale Bildung?
  • Nachhaltiges Lernen sichern: Modernen Unterricht gestalten mit datenschutzkonformen Technologien
  • Berufsorientierung ohne Geschlechterklischees – Wie bringen wir mehr Frauen in die IT?
  • Zwischen Hörsaal und Cloud – Wie studieren wir im digitalen Zeitalter?
  • Am Puls der Zeit: wie gelingt lebensbegleitendes Lernen?
  • Thinking out of the box – der virtuelle Ort für gemeinsame Erlebnisse

Diese fanden auf der Hauptbühne, der Fachbühne und den Roundtables statt.

Stattgefunden hat die Konferenz auf der Event-Plattform swapcard. Um an der Konferenz teilzunehmen war nicht nur die Registrierung, sondern auch das Anlegen eines Profils notwendig. Das Profil sollte vor allem wegen der Möglichkeit zum Netzwerken angelegt werden. Die Kategorien (wo beschäftigt und in welcher Position) haben für mich jedoch wenig Relevanz. Und da bleibe ich wieder hängen: bei Barcamps geht es um den Interessen geleiteten Austausch, auf der Konferenz zückst du deine (digitale) Visitenkarte. Die Plattform bietet einfaches Navigieren und trotz meiner ersten Skepsis finde ich mich schnell zurecht. In der Chat-Funktion gefällt mir die Unterteilung in Diskussion und Fragen. Neben dem Programm gibt es auch die Möglichkeit sich eine eigene Agenda zusammenzustellen und durch autofollow bequem von einem Panel zum Nächsten “geschubst” zu werden.

Screenshot der Oberfläche von swapcard

Ich könnte noch viele Kleinigkeiten aufzählen, an denen ich hängen geblieben bin und die zu meinem Gefühl des Unwohlseins beigetragen haben. In der Konsequenz denke ich an Luhmann und seine Systeme. Die bleiben immer in ihrer eigenen Logik. Sie erhalten sich selbst und die Grenzen eines Systems werden auch durch Sprache und Wirken deutlich. Organisiert wird die Bildungskonferenz 2022 von der BitKom. Dem Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche.

“Der Interessenverband will optimale politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen für die ITK-Branche erreichen. Er setzt sich zudem für eine strategische ITK-Politik ein, die die Politikebenen von der EU über Bund und Länder bis zu den Kommunen umfasst. Zugleich will Bitkom die Politik dazu bewegen, ihre Maßnahmen in den erfolgskritischen Handlungsfeldern zu integrieren.” Wikipedia-Artikel über BitKom

Und ich finde dieses Anliegen wird bei der Konferenz deutlich. Überdeutlich. Zwischen den Speaker:innen finden sich immer wieder Vertreter:innen aus der aktuellen Regierung oder Opposition. Mit mehr oder weniger gehaltvollen Beiträgen. Alle dafür mit Stift und Zettel, weil sie doch den Branchen Vertreter:innen zuhören sollen. Es braucht mehr Geld für die Wirtschaft und das möglichst unbürokratisch. Das Mantra klebt auf so manchen Lippen. Ich werde etwas wütend. Ein Großteil der Bildungsenthusiast:innen werden auf den Chat verwiesen “Diskutieren Sie gerne dort, wir greife ihre Fragen und beiträge dann am Ende des Panels, Roundtabels, Vortrages auf, wenn die Zeit dazu reicht.” Und sie reicht nicht. Und zum Abschluss der Konferenz wirbt eine Moderatorin noch mal für Verständnis, dass nicht auf alle Fragen und Impuls aus dem Chat eingegangen werden konnte. Ich habe keins. Dann hätten Vorständler und Geschäftsführer sich eben ein paar Plattitüden sparen können und Lehrkräfte zu Wort kommen müssen, um ihre tatsächlichen Bedarfe oder Wünsche einbringen zu können.

Die zwei Tage der Konferenz, die ich versuche offen zu bleiben. Doch mir drängt sich immer wieder ein Gedanke auf: außerschulische Bildungseinrichtungen haben keine Curriculare Bindung und können deswegen sehr viel schneller, als etwa das System Schule oder auch Universitäten, auf neue Trends und Themen reagieren. Hinter Schulen und Universitäten steht ein großer bürokratischer Apparat mit Bildungsföderalismus und in dem verschiedenste Logiken, Verordnungen und Gesetze bedacht werden müssen (Luhmann klimpert hier übrigens wieder mit den Augen!). Das ist ein Hemmschuh, ja. Das ist aber auch dem Bemühen um Bildungsgerechtigkeit, Neutralität und Wertfreiheit geschuldet.
Staatlich geregelte und freie Bildungssysteme sollten nebeneinander stehen. Zum Besuch der Schule gibt es eine Pflicht (und ein Recht, aber erzähl das mal gelangweilten Schüler:innen), so soll ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Gerechtigkeit, Chancengleichheit und Mündigkeit erreicht werden. Klar könnte es besser laufen, unbedingt sollten wir nicht müde werden Verbesserungen und Anpassungen zu fordern. Den Austausch über Innovationsgedanken, Bedarfe und Zukunftstrends für die Bildung in Deutschland sollte es geben. Über den Tellerrand zu schauen, offen zu sein für Ansätze und Konzepte, Best practice zu diskutieren und nach individuellen Umsetzungsmöglichkeiten zu schauen, sich auszutauschen und zu diskutieren… Das alles sollte Raum finden. Doch auch die Erkenntnis, dass Systeme wie Wirtschaft, Politik und Bildungsinstitutionen mit anderen Ansprüchen und Werten auf Bildung schauen sollte Raum finden. Und dass ist dann eine sehr grundsätzliche Diskussion, zu der ich eine klare Haltung habe, die in dieser Konferenz halt wenig Platz findet: Bildung sollte sich nicht lohnen oder wirtschaftlich verwertbar sein.

Und damit können wir eigentlich einen Schlussstrich ziehen. Es liegt an mir, ich bin zu kritisch: ich habe einfach ganz andere Werte und Erwartungen an Bildung als du, liebe BitKom. Wer einen ersten Überblick über Themen und Ideen von Digitalisierung in der Bildung gewinnen möchte, der oder die findet bestimmt etwas. Wer einen ersten Eindruck von den Akteur:innen aus Wirtschaft und Politik bekommen mag und dabei zwei, drei spannende Impulsgeber:innen entdecken mag, kann mal vorbeischauen. Wer schon tiefer in der Thematik ist, schon eine eigene Meinung und Ideen hat, wird wahrscheinlich in einem anderen Format glücklicher.

 

Und wer jetzt noch über die Unabhängigkeit von Bildung und die Bemühungen der Digitalwirtschaft grübelt, wie ich: Hier ist einen Bericht des bpb über eine Diskussionsveranstaltung zu genau dem Thema bei dem unterschiedliche Sichtweisen deutlich werden.