Es ist einer dieser Momente, wo alles zusammenkommt – ich höre etwas im Podcast, schaue den dort erwähnten TED-Talk, erinnere mich an ein Buch und einen scheinbar völlig unverwandten Artikel und merke: „AAAH, das ist alles EIN Thema!“ …dafür, dass ich diese Dinge hier sortieren darf, liebe ich den Greymatters-Blog sehr. Aber fangen wir von vorne an.

Anstoß gab mir der wundervolle und für alle Kreativen umbedingt empfehlenswerte Art, Work & Progress -Podcast von Jennifer Daniel und Franziska Ruflair: In der aktuellen Folge „Wie Vielseitig darf ich sein?“ geht es um die vielen Fähigkeiten, Erfahrungen und Stationen die Menschen im Leben machen, die vielleicht keinem roten Faden im Lebenslauf folgen, und scheinbar auch nicht zu einem „stimmigen“ Portfolio zusammenkommen. Das können vorgeblich gegensätzliche Themen wie Comics und Strategiebilder für Banken, Webdesign und Aktzeichnen sein oder vielleicht auch: Krav Maga und Graphic Recording!? – Franzi und Jenni, ich fühle das so! Aber hat sich nicht jeder Mensch schon mal gefragt: Wer bin ich und wieviel davon zeige ich wem? Was stelle ich dar? Sei es beim Bewerbungsgespräch oder auch beim Erstellen des Instagram-Profils oder der eigenen Website.

Franzi erwähnte den TED-Talk „Why some of us don’t have one true calling“ von Emilie Wapnick: Die Kindern häufig gestellte Frage „Was möchtest du werden, wenn du groß bist?“ Hat die Referentin schon immer in Schwierigkeiten gebracht, denn – Wie um alles in der Welt sollte sie sich für EINE SACHE entscheiden?! Und: Warum sollte sie sich überhaupt festlegen? Und das trifft auch für mich so ziemlich den Kern der Sache – ja, warum eigentlich? Warum wird uns von klein auf beigebracht, dass wir uns auf „die eine Passion“ (one true passion) konzentrieren, und die eine „Berufung“ (your calling) finden müssen? Was, wenn es nicht diese eine Sache gibt, die ich ein Leben lang verfolgen möchte? Stimmt etwas mit mir nicht? Warum kann ich mich nicht festlegen? Falls du dich das schonmal gefragt hast, bist du ganz sicher nicht alleine.

Emilie Wapnick kommt zu dem Schluss, dass sie zu einem Schlag Mensch gehört, den sie „Multipotentialites“ (kurz „Multipods“), Menschen mit mehr als einer Passion, nennt. Und ganz ehrlich, sind wir das nicht alle ein bißchen? Je länger ich drüber nachdenke, kenne ich kaum jemanden, der sich nicht in mehreren, scheinbar unvereinbaren „nischigen“ Themen auskennt bzw. sich gegensätzliche Labels geben könnte: Die Bankerin und Boulderin, die Pharmaexpertin und Rugbyspielerin, der Steuerberater und Karatelehrer, die Konditorin und CrossFitterin, der IT-guy und Downhiller, der Motocrosser und Terry Pratchett-Zitierer, der 3D-Artist und Drummer… ich könnte ewig so weiter machen.

Emilie Wapnick unterscheidet „simultaneous“ und „sequencial“ Multipods – ersten nennt sie den Oktopus, und der zweite müsste – so finde ich – ein Hundertfüßer sein: Simultane Multipods jonglieren vorwiegend gleichzeitig verschiedenste Themen. Ein sequenzieller wiederum taucht in ein Thema ein und beschäftigt sich voll und ganz damit, bevor er dem nächsten seine ganze Aufmerksamkeit widmet. Wie immer gibt es dazwischen ganz sicher alle Färbungen! Was denkt ihr, welcher Typ seid ihr? Ihr könnt natürlich auch Emilie Wapnicks (englischen) Quiz hier machen:)

Schlagen wir den Bogen zum Arbeitsalltag: Ich erinnere mich noch an mein früheres Leben als Angestellte in einer PR-Agentur. Am einen Tag ging es um den Pitch für das Sodbrennen-Mittel, am nächsten um das Jahreskonzept für die Beautymarke, oder das Chemistrymeeting mit dem Garten- Food-, Energie- oder Baumarktkunden. Nischiges Wissen war SO gefragt, und doch gab es die größten Schwierigkeiten, dieses versteckte Expertentum, was auf keinem Lebenslauf und keinem Steckbrief stand, abzugreifen! Sicher ist es in anderen Branchen ähnlich, wenn es auch nicht unbedingt so offensichtlich ist. Jede Person bringt doch eine verrückte ungeahnte Kombination an Skills mit, die sich auf den Alltag und den Charakter übertragen: Ich habe das bekannte Ikigai-Venndiagramm einmal für diesen Zweck abgewandelt und beispielhaft für eine fiktive Person ausgefüllt. Es geht so: Denkt an 3-5 eurer (gerne auch völlig Job- und verdienstunabhängige) Interessen und schreibt sie in einen der Kreise. Lasst es sacken. Nun schaut doch mal in die Schnittmengen: THIS IS WHERE THE MAGIC HAPPENS! Hier können sich wie ich finde ganz unerwartete Fähigkeiten oder Erklärungen finden, warum ihr so ein nischiges und einzigartiges Wesen seid. Natürlich sind diese Diagramme nur Momentaufnahmen – umso spannender, sie aufzuheben und nach ein Paar Jahren neu auszufüllen und zu vergleichen!

Lasst uns in den Kommentaren wissen, ob ihr Oktopus oder Hundertfüßer seid, und welche Nische ihr (gerade) besetzt.