Luise hat ja schon letzte Woche über gute Vorsätze geschrieben. Als erster Artikel des neuen Jahres liegt es natürlich nahe ebenfalls ein wenig in die Zukunft zu schauen. Witzigerweise habe ich, aufgeklärt und vernunftbegabt wie ich meistens bin, trotzdem jedes Jahr wieder ein Gefühl der Absolution, wenn der Kalender zurück auf den ersten Januar gedreht wird. Wie eine neue Chance Fehler des vergangenen Jahres noch mal zu überdenken und es im neuen Jahr besser zu machen. Ein bißchen wie früher, wenn nach den großen Ferien ein neues Schuljahr begann mit all den neuen und unberührten Heften und dem festen Vorsatz es diesmal ordentlicher zu füllen. Mein Thema ist daher Neuanfang kombiniert mit Reflexion. Ich habe am 27.12. begonnen diesen Artikel zu schreiben, während das alte Jahr in einem dichter werdenden Nebel aus verblassenden Erinnerungen verschwindet und das neue Jahr – wie bei einem Caspar David Friedrich Gemälde – bereits die ersten Sonnenstrahlen durch den Dunst schickt.

Der Läuterung, die dieser für alle Menschen egal welchen Alters oder welcher Nationalität, Geschlecht oder Religion identische Wechsel mit sich zu bringen scheint, können sich gefühlt die wenigsten entziehen. Jeder hat ab dem 01.01. einen neuen Kalender, jeder lebt den 01.01.2022 egal, ob man an das System dahinter glaubt, oder nicht. Und während bei der Religionsausübung bzw. atheistischen Einstellung zum Leben, die freie Wahl herrscht, ist beim Thema neues Jahr keinerlei Einfluss möglich. Das kommt – unabänderbar. Und wenn man schon nichts ändern kann, dann fokussiere ich mich wenigstens auf das Gute.

Corona hat mich im ersten Jahr noch ganz gut durchs Leben kommen lassen, natürlich haben mich die Nachrichten getroffen, allen voran aus Italien, wo ich liebe Freunde habe und natürlich habe ich Einbußen gehabt, weil viele Jobs und alle Workshops abgesagt wurden, aber ich persönlich und mein direktes Umfeld sind gut durch das Jahr gekommen. 2021 war das anders. Im September war die Batterie schon leer und noch so viele Termine und ToDos übrig, durch den Oktober bin auf Reserve gefahren, im November habe ich mich durchgewurschtelt und der Dezember war hauptsächlich toll, weil da das Barcamp stattfand, Weihnachtsfeiern und Weihnachten selbst. Aber ich war schlapp und müde. Erst am 23.12. kam es zu einem heftigen Durchatmen und damit einher gehend beginnender Vorfreude auf die Zeit nach den Weihnachtsferien.

Wie hab ich das geschafft?

Ich habe festgestellt, dass die Zeit um Weihnachten bis zum neuen Jahr eigentlich die einzige etwas längere Zeitspanne im Jahr ist, in der ich richtig zur Ruhe kommen kann und auch gut reflektieren kann. Denn es wird garantiert keine Emails oder Anrufe von Kunden geben, die meisten Menschen in meinem Umfeld sind beschäftigt und so bleibt mehr Zeit für Ideen spinnen, Entspannung und alles, was sonst zu kurz kommt. Im Vorfeld ist dieser Zeitraum gefühlt mehrere Wochen, in der Realität nur wenige Tage. Aber die reichen in der Regel aus, den Kopf frei zu bekommen und einmal Revue passieren zu lassen, was so alles war und was ich ab dem 1.1.2022 machen möchte. Früher habe ich mir in meiner imaginären ToDo-Liste 1001 Aktivitäten in diese Zeit zwischen den Tagen gepackt. Da mache ich dies und das und das auch noch. Das führte aber immer zu Stress und Frustration, weil ich nicht mal einen Bruchteil von meiner  zwölf Meter langen Liste geschafft habe. Seit zwei Jahren nehme ich mir für diese Zeit nichts vor. Rein garnichts? Na gut drei Sachen gibt es da schon, die ich mache:

1. Ein neuer Kalender wird in Gebrauch genommen und die festen Termine fürs Jahr werden eingetragen (Geburtstage, Events, Aufträge aber auch Termine für Weihnachtskarten, Ticketverkäufe usw.) . Bevor ihr fragt ich habe tatsächlich immer noch einen Papierkalender. Natürlich auch einen digitalen, weil mehrere Personen auf meine Termine zugreifen müssen, aber ich habe auch ein analoges Schätzchen und das liebe ich sehr.

2. Eine Übung, die ich mit meiner Visualisierungs-Mindset-Gruppe jedes Jahr bei der Weihnachtsfeier mache, wo 8 Dinge aufgeschrieben werden, die ich im neuen Jahr machen will, damit das ein gutes Jahr wird. Die schreibe ich noch mal ordentlich auf und hänge sie in mein Büro.

3. Ich räume auf und miste aus. In unserem Büro haben wir drei Zimmer. Ein großes „Zehn Vorne“, wo die Treffen mit mehreren Leuten stattfinden und zwei kleinere Zimmer. Eins ist die Programmierhöhle von Marcus und das andere heißt „Holodeck“ und ist meine kleine Kammer des Schreckens. Was primär an dem Chaos liegt, was da konstant herrscht. Zwischen den Tagen räume ich hier auf, sortiere Papiere, Stifte und Zeichnungen, archiviere und schmeiße weg, was sich so angesammelt hat.

Mit den kleinen Ritualen für einen guten Start ins neue Jahr geht auch immer die Reflexion einher.

1. Ich schaue den alten Kalender noch einmal durch, bevor ich den neuen anfange. Alleine schon um zu sehen, ob da noch ToDos sind, die ich ins neue Jahr übertragen muss. Dabei erinnere ich mich an die vielen schönen Momente, die es gab oder auch an coole Aufträge, die fertig geworden sind.

2. Wenn ich die neuen 8 aufhänge, freu ich mich schon auf das neue Jahr und schaue auch, ob ich die 8 Dinge vom letzten Jahr gemacht habe.

3. Beim Ausmisten finde ich so viele tolle Sachen wieder und freue mich über Sketchnotes, die ich gemacht habe, neue Tools und Stifte, die ich gekauft habe und verschiedenes mehr.

Ich freu mich aufs neue Jahr und die vielen wunderbaren Dinge, die geschehen werden, das gibt mir genügend Kraft auch die üblen Sachen zu überstehen.

Begonnen habe ich mit einem Satz aus einem Hermann Hesse Gedicht, das einfach sehr gut zum Thema Neuanfang passt. In dem Sinne FROHES UND GESUNDES NEUES JAHR.

Stufen

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
(4. Mai 1941)

Hermann Hesse

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Und nur ganz kurz, weil ich das Gemälde, das ich ausgewählt habe (bzw. einen Ausschnitt daraus) so liebe. Es stammt von dem Meister der Romantik: Caspar David Friedrich. 94,8 x 74,8 cm, Öl auf Leinwand, Um 1818 entstanden Und es zeigt die Rückenfigur eines Wanderers, der hoch über den Gipfeln dem Nebel im Tal zusieht. Die Rückenfigur ist eine Art Stellvertreter für den Betrachter. Steht man vor dem Gemälde, das übrigens in der Kunsthalle Hamburg hängt, verhilft einem diese anonyme Figur selbst in das Gemälde einzutauchen und sich über dem Nebelmeer zu wähnen. Es ist für mich gemalte Stille und Sturm gleichzeitig.