Ich liebe es, wenn sich Trainingsprinzipien aufs Leben übertragen. Heute geht es um bewusstes und zielgerechtes (engl.: „intentional“) Trainieren und wie sich das vom Fitnessstudio (CrossFit-Box, Krav maga Gym oder Dojo) in den Berufsalltag oder auf eine beliebige Fähigkeit übertragen lässt… dazu muss ich ein wenig ausholen und den Unterschied zwischen trainieren (engl.: „Training“) und üben (engl.: „Practice“) etwas aufschlüsseln (unten habe ich ein Glossar angelegt).

Üben: In Ruhe (niedriger Puls oder Stresslevel) an einer Fähigkeit arbeiten. Die Comfort Zone verlassen, aber nicht zu weit – hier kann ich lernen, Synapsen verknüpfen und Muskelgedächtnis aufbauen. Mein Körper wird hier eher Koordination (auch Hand-Augen-Koordination), Balance, Agilität und Genauigkeit/Präzision lernen.

Trainieren: Unter Stress (höherer Puls) vorhandene Fähigkeiten ausführen, dabei aber ein bestimmtes Ziel verfolgen, Muskelgedächtnis festigen. Mein Körper kann sich auf diesen Stress (Trainingsreiz) anpassen, d.h. (mental und physisch) resistenter werden, kardiovaskuläre Kondition (engl.: Endurance) oder Muskeln, Schnelligkeit und Kraft aufbauen. Wenn der Stress zu hoch ist, d,h, man zu weit aus der Comfort Zone rauskommt, passieren eher Verletzungen oder negative mentale Verknüpfungen, d.h. man braucht länger um sich davon zu erholen.

Sowohl beim Üben als auch beim Trainieren kann ich in den FLOW kommen.

Ich will euch ein Beispiel nennen: Neulich in der Crossfitbox standen folgende Dinge auf dem Programm: BLOCK 1: 10 Minuten Handstand üben. BLOCK 2. Ein Superset aus Klimmzügen (1 Min) , Handstand-Lauf (1 Min) und Seilspringen (1 Min), immer jeweils 1 Minute für 12 Minuten. BLOCK 3: Ein Workout aus 10 Runden Burpee-Variationen (12xLiegestütz-Aufrichten-über 120cm Hürde klettern) und 12 kcal Rudern… der Trainingsreiz (der zu einer bestimmten physischen oder mentalen Adaptation führt, siehe auch Glossar), wird jeweils woanders gesetzt, nämlich:

Block 1: ÜBEN – Erlernen einer neuen Fähigkeit oder Aufbau einer bestehenden Fähigkeit in Ruhe, d.h. niedriger Puls, hohe Konzentration auf den Skill und Fokus auf 1 spezifisches Element (z.B. Handhaltung, Balance, Bauch anspannen, Beinhaltung etc.)

Block 2: TRAINIEREN mit Fokus auf Festigen einer Fähigkeit, d.h. Ausüben einer bereits vorhandenen Fähigkeit unter Stress: Nach der Cardio (Seilspringen) und den Klimmzügen (Kraftaufbau), also mit höherer Herzfrequenz und ggf. müden Schultern fällt der Handstandlauf natürlich schwerer. Beherrscht man aber keinen Handstandlauf, macht es keinen Sinn (da kein Trainingsfortschritt möglich, ich bin außerhalb der Lern Zone), unter Stress immer wieder zu versuchen in den Handstand zu kommen. Für den richtigen Trainingsreiz muss ich also den Anspruch der Aufgabe runtersetzen. Zum Beispiel Handstand an der Wand mit Shoulder Taps, oder ohne (dann geht es mehr darum, unter Stress die Balance zu halten) – sodass ich hier wieder gerade außerhalb der Comfort Zone bin, denn hier kann ich lernen!

Block 3: TRAINIEREN mit Fokus auf mentale Resilienz und Kardio, d.h. Versuchen, ein bestimmtes forderndes Tempo zu halten …es macht auch hier keinen Sinn, wenn die Grundkondition nicht da ist, dann würde ich zum Beispiel die Burpees nicht über ein Hindernis sondern auf ein Target ändern oder beim Aufrichten einen Schritt einräumen (i.e. das Tempo verlangsamen). Auf jedem Trainingslevel auf das Atmen konzentrieren, sodass sich der anschließenden Erholungszeit mein kardiovaskuläres System aufbauen kann.

Was ich sagen will: Wer jeden Tag ins Gym geht und nur versucht schneller und schwerer zu heben als vorher (oder als die Person neben dir) wird nicht umbedingt Fortschritte machen, insbesondere wenn ich nicht genug Erholung habe und ins Übertraining komme. Oft hat man am Anfang einer Fitnessreise immer relative Adaptationen (Stoffwechsel, Muskelaufbau), doch stagniert dieser Fortschritt wenn man nicht spezifische Trainingsreize setzt und sich bewusst macht, an welcher Fähigkeit man gerade mit Intention arbeiten möchte. 

Deutlich wird der Unterschied zwischen Trainieren und Üben im Krav Maga (Selbstverteidigung): Eine neue Technik übe ich immer erstmal langsam, ohne Stress, in Ruhe (analog zu BLOCK 1). Wenn die Technik sitzt erhöhen wir natürlich den Anspruch, d.h. erhöhen die Gegenwehr bzw. üben Variationen (immernoch BLOCK 1). Wenn wir die Frequenz der Angriffe etwas erhöhen oder Überraschungselemente einbauen bewegen wir uns ins Training, also BLOCK 2 und 3. Auch hier kann ich es übertreiben – werde ich verletzt oder habe ich das Gefühl, überwältigt und überfordert zu werden, werde ich länger brauchen, um mich zu erholen, mich vielleicht sogar scheuen, wieder ins Training zu gehen. Und das wäre kontraproduktiv.

Wenn ich stressige Zeiten als Selbstständige oder Angestellte denke, sehe ich mich häufig in einer Art Autopilot arbeiten. Schnell, schnell alle Aufgaben erledigen, den Tag überleben, schlafen, weitermachen. Auch wenn man dabei Erfahrungen macht und Dinge lernt, so wie das ganze Leben im Grunde Training ist, versuche ich heute bewusst Trainingsreize zu setzen. D.h. ich nehme mir Zeit, zu üben (Zeichnen, Sketchnoten, den Schwierigkeitsgrad zu erhöhen, mit neuen/ungewohnten Materialien arbeiten) und zu trainieren (neue Themen, den Zeitdruck erhöhen etc.). Und wenn stressige Zeiten oder Jobs anstehen einen Fokus zu setzen, zum Beispiel: Auf meine Atmung zu achten, ein geübtes Element einbauen (Flugzeuge zeichnen, urgh!) oder z.B. eine getestete Technik/Material einbauen – wichtig: Immer nur eine Sache vornehmen, eins nach dem anderen! Ich habe mit den Jahren auch gelernt, dass mein Körper zwar immer mehr kann, aber auch mehr Erholung und Pausen braucht. Ohne diese Regeneration komme ich ins berufliche Übertraining, und wie im Übertraining werde ich nicht besser, sondern schlechter (schlechtere Performance bis sich der Körper holt, was er braucht) – und das trotz höheren „Trainingsumfangs“.

Ich bin der festen Überzeugung: Schon die Gedanken darüber, welchen Trainingsreiz oder Fokus ich legen möchte, schalten den Autopiloten ab und lassen mich mit mehr Erkenntnissen und Fähigkeiten zurück. Auf meinen Körper achten und Regeneration und Verarbeitungszeit einräumen ist SO wichtig. Was denkt ihr, macht ihr es ähnlich oder habt vergleichbare Erfahrungen? Wo übt ihr, wo trainiert ihr?

Glossar

  • Üben: In Ruhe an einer Fähigkeit arbeiten (lernen, Synapsen verknüpfen und Muskelgedächtnis aufbauen)
  • Trainieren: Unter (nicht zu hohem) Stress arbeiten, dabei aber ein bestimmtes Ziel verfolgen (Muskelgedächtnis festigen)
  • Adaption: Physische Anpassung unserer Körper auf eine Situation/Anforderung (Reiz), d.h. Muskelaufbau oder Verknüpfen neuer Synapsen. Diese Adaptation braucht übrigens auch Verarbeitungszeit (Schlaf, Nahrung, Ruhe, d.h. Regenerationszeit)
  • Trainingsreiz: Den Körper bewusst einer bestimmten Situation aussetzen, um eine spezifische Adaptation zu erreichen (Muskelaufbau, Festigung einer Fähigkeit, Stoffwechselanpassung)
  • Übertraining: Stress war zu hoch, die Comfortzone zu weit verlassen – die Zeit, die es braucht, um sich hiervon zu erholen ist weit höher als nach einem Training. Übertraining kann durch ein einmaliges Ereignis, aber auch durch konstanten Stress oder mehrere stressige Ereignisse, von dem oder denen ich mich nicht ausreichend erholen konnte, verursacht sein.
  • Flow: Ein höheres Konzentrationslevel, bei dem ich die Zeit vergesse und Glückshormone ausgeschüttet werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass ich in den Flow komme, wenn ich meine vorhandenen Fähigkeiten um ca. 4% überschreite (die Zahl habe ich mal von Steven Koller gehört… Über den Flow werde ich noch schreiben!)

Quellen: Ben Bergeron Chasing Excellence Podcast, Steven Kotler als Interviewpartner