Montag gestand ich meine Liebe zu Viren – und diese Woche schließe ich mit Laura Spinneys im original 2017 erschienenen Buch mit dem Untertitel „Wie die Spanische Grippe die Gesellschaft veränderte“ an.

Ich verschlinge Studien und Fachbücher über Biologie, aber bei Geschichtsthemen schleppe ich mich oft von Zeile zu Zeile. Nicht so bei diesem Buch, was vielleicht daran liegt, dass Laura Spinney als Wissenschaftsjournalistin und Romanautorin Fachwissen in spannenden Geschichten zu erzählen versteht.

„Seit dem Schwarzen Tod im Mittelalter hat nichts mehr die menschliche Bevölkerung so stark geprägt wie die spanische Grippe“, schreibt sie und es ist das erste von vielen Malen dass ich mich Frage: …bis Corona kam – wann wird uns das Ausmaß dieser Pandemie klar werden? Sie schreibt weiter „Sie beeinflusste den Verlauf des ersten Weltkriegs und trug möglicherweise zum Zweiten Weltkrieg bei. Sie brachte Indien die Unabhängigkeit näher, Südafrika der Apartheid, und manövrierte die Schweiz an den Rand eines Bürgerkriegs. Sie führte zu einer allgemeinen Gesundheitsfürsorge und zur Alternativmedizin, zu unserem Bedürfnis nach frischer Luft und unserer Leidenschaft zu Sport und war vermutlich zumindest teilweise dafür verantwortlich, dass sich Künstler des 20. Jahrhunderts geradezu obsessiv mit den vielfältigen Arten befassten, auf die der menschliche Körper versagen kann“. Lange glaubte man, rund 20 Millionen Menschen seien der spanischen Gruppe zum Opfer gefallen – wahrscheinlich waren es aber zwei- bis fünfmal so viele… genau kann man es nicht mehr sagen, denn es gab zwar erste Autos, aber keine Antigen-Schnelltests.

Erschreckend und faszinierend ist, dass trotz 100 Jahren, die wir in Sachen Wissenschaft und Fortschritt der Spanischen Grippe voraus sind, scheinbar als Menschheit auf anderer Ebene einfach nichts, gar nichts dazugelernt haben. Auch damals gab es, obwohl sich die Toten auf der Straße türmten, die Leugnenden und Berichterstattenden, die das Narrativ noch befeuerten. Es gab Lockdowns und Hygienevorschriften, Quarantäne, Schulschließungen und es gab Gegenstimmen, die den Regierenden ihre Entscheidungen zum Vorwurf machten. Auch damals kollidierte der Bevölkerungsschutz mit wirtschaftlichen Interessen, Bestimmungen standen gegen Freiheitsrechte. Es gab Wissenschaftler, die kein Gehör fanden, (leider unwirksame) Impfungen, es gab überfüllte Krankenhäuser, Herbst- und Frühlingswellen, bei denen man in die gleichen Fallen tappte. Es gab Diskrimierungen ob der unwahrheitsgemäßen Bezeichnung „Spanische“ Grippe, und es gab Gegendiskrimierung durch die Spanischen Behörden, die die Portugiesen für die Seuche verantwortlich machten. Es gab Vorurteile und Stigmatisierung genau so wie es Verschwörungstheorien und Medien gab, die Aufklärung versuchten und andere, die aufmerksamkeitsstarke Schlagzeilen priorisierten.

Ich schließe mit einem weiteren Absatz aus dem letzten Kapitel: „Bei einer künftigen Grippepandemie werden die Behörden Endämmungsmaßnahmen (…) verhängen. Da dies zum Besten für alle sein wird, stellt sich die Frage, wie man die Bevölkerung zur Mitwirkung motivieren könnte. Und wie bringt man die Menschen dazu, sich alljährlich impfen zu lassen, da ja die Herdenimmunität der beste Schutz gegen eine Grippepandemie darstellt? (…) Die CDCs haben 2007 einen Leitfaden herausgegeben, wie die Behörden im Fall einer Pandemie die Bevölkerung zu größtmöglicher Compliance bewegen können. Teilweise basieren diese Leitlinien auf Lektionen, die man 1918 gelernt hat; es wird empfohlen, nur dann behördliche Maßnahmen anzuordnen, wenn der Anteil der krankheitsbedingten Todesfälle auf über 1 Prozent steigt (wie bereits erwähnt betrug dieser Anteil bei der Spanischen Grippe mindestens 2,5 Prozent). Basierend auf den Zahlen von 2016 bedeutet dies, dass über drei Millionen Amerikaner sterben müssten, bevor die CDC solche Maßnahmen empfehlen würden (…).

Wenn Seucheneindämmung aber am besten auf freiwilliger Basis funktioniert, muss man die Menschen über die Art der Krankheit und die mit ihr verbundenen Risiken informieren. Dies ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, die Geschichte der Spanischen Grippe zu erzählen.“