Wie anderen Menschen (und sich selbst) mit Offenheit und Wertschätzung zu begegnen? Einige Erkenntnisse habe ich hierzu aus dem Buch “Verletzlichkeit macht stark” von Brené Brown mitgenommen. Bekannt wurde Brené Brown durch ihren TED Talk in Houston über “The power of vulnerability”. In dem Buch beschreibt sie Ihren Weg zu Erkenntnissen, Beobachtungen aus ihrem Leben und ihre Forschung. Sie beschreibt auch, wie sie sich nach dem TED Talk fühlte, sie schämte sich in Grund und Boden.

Meine Ausgabe des Buches ist mittlerweile ziemlich eselohrig (ja, ich bin eine dieser Unholdinnen, die Knicke in Bücher macht, wenn sie gerade keinen Stift griffbereit hat, um etwas anzustreichen. Ja, ich kritzel und markiere in Büchern). Dabei fiel mir der Einstieg in das Buch schwer. Ich hatte ein leichtes, populär-wissenschaftliches Buch über innere Haltung erwartet. Brené Brown jedoch berichtet über ihre Forschung. Zwischen Datenerhebung, Forschungsdesign und Kodierung finden sich Ergebnisse, welche die Autorin in ihr Leben überträgt. So stehen Erkenntnisse aus Forschung und Alltag neben einander und machten es mir als Leserin einfacher Anknüpfungspunkte zu finden.

Das Buch beginnt mit einem Zitat aus einer Rede von Theodore Roosevelt

“Es ist nicht der Kritiker, der zählt, nicht derjenige, der aufzeigt, wie der Starke gestolpert ist oder wo der, der Taten gesetzt hat, sie hätte besser machen können. Die Anerkennung gehört dem, der wirklich in der Arena ist; dessen Gesicht verschmiert ist von Staub und Schweiß und Blut; der sich tapfer bemüht; der irrt und wieder und wieder scheitert; der die große Begeisterung kennt, große Hingabe, und sich an einer würdigen Sache verausgabt; der, im besten Fall, am Ende den Triumph der großen Leistung erfährt; und der im schlechtesten Fall des Scheiterns, zumindest dabei scheitert, dass er etwas Großes gewagt hat.” (Theodore Roosevelt: Citizenship in a Republic, Rede an der Sorbonne am 23.4.1910, Übersetzung von E. Roth)

Auf diese Metapher kommt die Autorin immer wieder zurück. Und verlor mich etwas, denn kryptische Gedanken habe ich mir selbst schon genug gemacht, ich hoffte auf Antworten. Teilweise blieb ich auch an der Übersetzung hängen. Vulnerabilität ist kein Wort im deutschen Sprachgebrauch. Die Internet-Übersetzung als “Schwachstelle” würde kaum das greifen, was Brown in ihrer Forschung zusammen bringt und denkt. 

Entlang des Buches und des beschriebenen Forschungssetting entfalten sich für mich Gedankengänge und Erkenntnisse. In den ersten Kapiteln werden Beobachtungen und grundlegende Gedanken zu der Thematik Verbundenheit und dem Nicht-Verbunden-Sein beschrieben. Grundlegend für die Forschungsfrage waren die Ergebnisse der ersten Befragung: die befragten Menschen sollten beschreiben, was Verbundenheit ausmacht und wie diese zu fassen sei. Als Antwort beschrieben die Befragten Situationen des Nicht-Verbunden-Seins. Daher widmet sich Brown in ihrer Forschung der Verletzlichkeit und vor allem der Scham. Zugegeben, ein Thema bei dem ich nicht begeistert in die Hände klatschte, als ich es begriff. Doch die Autorin macht es sehr deutlich: Menschen sind soziale Wesen und wir sind getrieben von der Angst, nicht dazuzugehören.

Populärwissenschaftliche Bücher lese ich meist mit einer klaren Frage: wohin damit? Ich sortiere die Erkenntnisse in meine Haltung als Bildungsfreigeist, Lehrende und Lernende. Bei der Lektüre wurde mir deutlich, Scham ist das, was Kreativität, Offenheit und Austausch bremst.

“Wenn wir Innovationskraft und Leidenschaft wieder ankurbeln wollen, müssen wir die Arbeitswelt wieder menschlicher machen. Wo Scham zum Managementstil wird, stirbt das Engagement. Wenn ein potenzielles Versagen nicht geduldet wird, können wir Lernfähigkeit, Kreativität und Innovationsbereitschaft vergessen.” (Brené Brown – Verletzlichkeit macht stark, S.28)

Hilfreich waren an dieser Stelle für mich vor allem die letzten Kapitel. In diesen leitet Brené Brown eine Übertragung ihrer Forschungsergebnisse auf die Bildungs- und Arbeitswelt her. Das Buch ermöglicht nicht nur das Hinterfragen und Einordnen des eigene Handelns. Es gibt auch entscheidende Impulse anderen Menschen wohlwollender zu begegnen. Denn auch dazu macht Brené Brown Mut, trau dich, dich selbst angreifbar, ja verletzlich zu geben. “Wage etwas Großes” so werden Möglichkeitsräume geschaffen sich selbst und anderen wohlwollend zu begegnen. Es ist eine Haltung, die sich fortträgt und zurück kommt wie ein Echo.

Meine Ausgabe ist auf deutsch im Goldmann Verlag erschienen. Kostet 9,99€.

Ich gebe dem Buch 4 von 5 GreyMatter-Nüsschen.

Allen, die den ersten TED Talk von Brené Brown kennen und neugierig auf das Buch sind, allerdings noch nicht ganz überzeugt, empfehle ich den zweiten TED Talk „Listening to shame„.