Die Temperaturen gerade passen, hier in Niedersachsen, nicht wirklich zum eigentlichen kalendarischen Winter. Die Frühblüher sprießen aus dem Boden und die Vögel singen als sei der Frühling bereits in vollem Gange. Eigentlich lässt es mich den Kopf schütteln und sorgt bei mir für etwas Sorge. Doch gerade passt es auch zu dem Gefühl mit dem mich “Überwintern” von Katherine May zurückgelassen hat: Zuversicht.

Überwintern” ist eine Sammlung von verschiedensten Themen und Erfahrungen, die mit dem Winter verknüpft sind. Die Kapitel des Buches sind in Monate untergliedert. Zu jedem Monat und der Phase des Winters bzw. der dunklen Jahreszeit werden passenden Themen aufgegriffen. Ein Mix aus Fakten, Gedanken und Berichten von eigenen Erfahrungen oder denen von Freund:innen. Beeindruckt hat mich der Umgang der Autorin mit dem Umstand, was in dem Buch eigentlich passieren sollte: eine Reise zu Menschen, die unter unwirtlichen Bedingungen den Winter überstehen. Und wie es zu einer Erzählung über den Winter in ihrem eigenen Vorgarten wurde. Auch das thematisiert Katherine May in diesem Buch.  Singen, Wölfe, Polarlichter, Eis baden und mystische Feste werden in kurzen Erzählungen verwoben, stehen neben- und greifen ineinander. Dabei wird alles in einen wunderbaren Erzählfluss verwoben. 

Ihren eigenen Umgang mit und die Learnings aus schweren, herausfordernden Lebensphasen werden von der Autorin reflektiert. Ich finde es angenehm, wie sie anekdotisch an verschiedenen Momenten, ja manchmal Knackpunkten, ihres Lebens teilhaben lässt. Jedoch verunsichert mich an diesen Stelle auch, welche Phasen oder Lebenshausforderungen mit der Metapher des Winter gemeint sind, was dort alles hineinpasst. An vielen Stellen habe ich das Gefühl es geht ausschließlich um Depressionen. Erst am Ende des Buches bleibe ich an einer Stelle hängen, in der sie den Blick auf die Vielseitigkeit eines persönlichen Winters lenkt: Depressionen, ja. Aber auch andere Krankheiten, Jobverlust, Schwierigkeiten in der Familie. Das ist vielleicht der Vor- und zugleich Nachteil von Metaphern, sie lassen Raum für die Zuschreibung von eigenen Bedeutungen. Doch dieser Raum lässt auch offen, was der Autor oder die Autorin gemeint haben könnte. 

Was ich aus dem Buch mitgenommen habe:

Der flüsternde Berg von Joan Aiken (Ausgabe von 1972)

Die Autorin liest in ihren Lieblingskinderbücher findet dort Impulse oder Gedanken zu ihrer aktuellen Situation. Ich grübel, ob ich auch alte Lieblingskinderbücher hervor hole und mir fällt ein, dass ich eine Zeit lang ausschließlich eine Ponyhof Reihe von weniger literarischen Ausmaß gelesen habe. Eine lange Zeit, doch der Titel der Reihe will mir nicht einfallen und meine Recherchen verlaufen im Sande. Auf der Suche nach Alternativen komme ich auf den Gedanken, die Kinderbücher zu lesen, die mein Vater mir ans Herz gelegt hat. Seine jugendlichen Leseabenteuer sind von mehr Klassikern geprägt. Daher las ich als Nächstes “Der flüsternde Berg” von Joan Aiken. Ein Buch, dass mir mein Vater stolz aus der “Ausmusterung” der damaligen Stadtbibliothek mit brachte. Es war kein Buch meiner Kindheit, weil ich es ehrlich gesagt ins Regal stellte und bei meinen “Ponyhof-Schundromanen” geblieben war. Doch in meinem Regal stand es immer noch, weil ich auf den Geschmack meines Vaters vertraue. Viele Jahre später verstehe ich die Begeisterung meines Vaters, da ich das Buch endlich gelesen habe. Und Katherine May. Die Stimmung, welche sie beim Lesen ihrer Jugendliteratur beschreibt, hatte auch mich eingehüllt. Ein schöner Moment, der mich beide Bücher noch etwas mehr wertschätzen lässt.

Normalerweise werde ich schnell warm mit Büchern. Mit „Überwintern“ ist es eher wie ein langsames Hineintauchen und mich annähern. Dann kam ich ganz in der Gedankenwelt und den Erzählungen von Katherine May an. Zum Ende des Buches passiert mir etwas, dass ich nicht erwartet hätte und schnell vergessen (hätte ich es nicht notiert). Ich blättere immer wieder zum Ende des Bucher und wünsche mir, dass es endlich vorbei ist. Und das sagt gerade gar nichts über das Buch an sich aus. Denn das Gefühl passt zur Stimmung des Buches. Zeigt mir wie wunderbar es mich in die Winterstimmung eingehüllt hat. Und meiner Meinung nach zeigt diese Unruhe die Stärke des Buches auf. Das Gefühl eines Winters wird so fein geschildert. Dass nach dem Innehalten, dem Überwintern, irgendwann auch eine Unruhe einsetzt und das sprudelndes Leben von Neuem beginnt. Es endet schließlich auch mit dem Frühling. Nach dem zur Ruhe kommen und Innehalten, dem Annehmen kommt das Gespür dafür, dass etwas Neues kommen darf und auch kommt. Das Energie und Licht ihren Weg zurück finden. Mit dem Buch geht es mir einfach genau wie mit dem Winter. Spätestens Ende Februar (meist schon im Januar) werde ich unruhig. 

Es hat mir viele schöne Seiten des Winters aufgezeigt, mir Wissenswertes vermittelt, Themen zusammengebracht, die ich nicht zusammen gedacht habe… Ich habe begriffen, wie elementar die Ruhephasen für Körper und Psyche sind. So empfinde ich es gerade und werde deswegen etwas wehmütig. Das Buch hat mir Zuversicht für dunkle Tage, die Phasen des Lebens und eine entscheidende Phase der Natur gespendet. Als ich das Buch verschenkte und selbst zu lesen begann, wünschte ich mir klare Sicht auch in dunklen Stunden. Und beendete das Buch mit einem wohligen Gefühl, Zuversicht und einem besseren Verständnis für die dunklen Tage, Wochen, Monate des Lebens.

 

Definitiv ein Buch, das ich wieder verschenken werde und noch mal lesen!