Wer kennt’s – der Workshop ist minutiös geplant, alle Teilnehmenden ready, und ZACK – wie gerufen geht die Präsentation (oder das Internet) nicht mehr. Oder: Du bist bereit für den großen Termin, die Tasche gepackt, nur noch den letzten Schluck Kaffee und dann ab ins Taxi. Und SCHLURPS – Kaffee auf Bluse/Hemd und wahlweise Laptoptasche (oder noch schlimmer: Skizzenblock/Notizbuch!). Oder… du bist absolut ready für den nächsten Karriereschritt, der Kalender ist voll und – KAPOW, eine Pandemie bricht los. Keine Sorge, das ist kein weiterer Artikel darüber, wie jedes Übel auch eine Chance ist.

Vielmehr geht es mir um den Moment, in dem etwas Unerwartetes, Ungeplantes plötzlich passiert, und wir umschalten müssen. Dieser „Oh SH**t – hm ok gut dann eben so“- Moment. Für mich ganz persönlich geht es um das Muscle Memory (Muskelgedächtnis) – wenn ihr wollt, könnt ihr an dieser Stelle auch ein Buzzword wie Resilienz einfügen oder vielleicht lieber ein Zitat?

Everyone has a plan until they get punched in the face (oder „the mouth“, Mike Tyson)

Das Muscle Memory machen wir uns zum Beispiel im Krav Maga auf vielfältige Weise zunutze: Sagen wir mal, wir üben eine Technik zur Abwehr eines geraden Schlages zum Gesicht…im Grunde parierst du den Schlag, und bewegst dich beim Kontern aus der Angriffslinie heraus, gewinnst Distanz und „scannst“ die Umgebung abschließend auf weitere Gefahren (oder auch den Fluchtweg, aber eigentlich sollte der bekannt, d.h. schon vor dem Vorfall in meinem Hinterkopf sein). Diese Abfolge wird erst langsam und präzise, und dann schneller geübt, solange die Technik sauber bleibt (bewusste Lernphase). Spätestens im Stressdrill am Ende kann schonmal die Sauberkeit flöten gehen, aber das ist in Ordnung, denn beim Stressdrill geht es um’s Durchhalten und Weitermachen. Es ist wie beim Schreiben oder Autofahren Lernen: Zunächst „male“ ich langsam Buchstaben nach – die Linien (und Bewegungen) sind noch unbeholfen, doch mit jeder Wiederholung (und Stunde im Auto oder Training) werde ich sicherer.

Und nach viel, viel Übung läuft es wie von selbst: Heute brauchen wir keine Sekunde nachdenken, wie ich mir Notizen mache oder eine Auto fahre – und die Zeit haben wir auch nicht! Nicht, wenn wir uns Notizen machen oder Graphic Recorden, nicht wenn wir auf die A3 wollen und nicht, wenn sich eine Faust mit 200km/h meinem Gesicht nähert. Die Muskeln handeln allein, ohne Umweg über das Hirn.

Das bedeutet für mich zweierlei. Erstens: You do what you train. Es lohnt sich, Zeit in eine saubere Technik zu investieren, denn im Kampf schützt mich das. Und für alle, für die Selbstverteidigung kein Alltag ist: Es lohnt sich für Graphic Recorder und Facilitator in saubere Handschrift zu investieren, oder als Berater (sind wir das nicht alle ein bisschen) in gute Gesprächsführung, Konfliktlösung, Gewaltfreie Kommunikation. Das sind Dinge, auf die ich zurückfallen kann, wenn ich Stress habe, weil etwas Unerwartetes passiert – natürlich neben einer guten Vorbereitung, die für mich persönlich auch genug Schlaf, bewusste Ernährung, genug Pausen bedeutet. Eben nicht nur, dass ich inhaltlich fit bin (mehr zum Thema Schlafen und Gehirngesundheit hier).

Zweitens: Mir gibt Sicherheit, dass ich mich „when Sh**t hits the Fan“ (wie einer meiner Instruktoren zu sagen pflegte), auf gewisse Dinge einfach verlassen kann. Wie oft ich vor einem Graphic Recording vor einer leeren Leinwand stand und irrational dachte „und was, wenn ich vergesse wie Zeichnen geht?!“ – es wird nicht passieren.

Keiner wird vergessen, wie Schreiben oder Sprechen geht, oder Atmen. Durchschnaufen und Weitermachen. Und auch wenn es mir in dem Moment GANZ SCHLIMM vorkommt, dass meine perfekte Präsentation futsch, mein Outfit voller Kaffee und mein Kalender voller gecancelter Events – irgendwie geht das Leben weiter. Wir haben alle in unseren Leben schon so viele F**k-Ups erlebt, und dennoch: Ihr seid heute hier, lest den Text, und macht heiter weiter:)