Dieser Artikel kommt in einem etwas anderen Gewandt daher. Wir wollen Wissensvermittlung nicht nur wieder attraktiver machen, sondern sind selbst neugierig, bereit etwas Neues auszuprobieren und zu Lernen. In diesem Fall haben wir (wir sind Marcus und ich) ein GoogleDoc geöffnet und begonnen zu schreiben, wie im Chat. Mich trieb die Frage um, warum in Lern-Lehr-Situationen schnell nach einem Tool, ja sogar nach DEM Tool, gefragt wird. Und die Antwort meist lautet: Übung!

Welche Erwartungen oder welches Mindset steckt dahinter? Wir haben uns ein paar Gedanken gemacht.

Luise: Hey Marcus, beim Sketchnote Barcamp 2021 hatte ich eine Session vorgeschlagen, bei der ich gerne darüber sprechen wollte, warum in der Sketchnoting-Community so oft nach den Tool, also Stiften und Papier, gefragt wird. Das ist mir schon häufiger aufgefallen, wenn Profis ihre Methoden und Vorgehensweisen vorstellen, wird sehr schnell gefragt “Was ist das für ein Stift? Welches Papier oder welche APP hast du benutzt?” statt “Wie lange dauert die Entwicklung des Bildes? Wie lange oder oft übst du schon?”. Ich erkläre es mir irgendwie damit, dass wir sofort perfekt sein wollen und den Prozess des Lernens nicht gut aushalten können. Ich freue mich, dass wir zwei uns jetzt darüber unterhalten!

Marcus: Hallo Luise! Ja, ich freue mich auch, das ist ein Thema über das ich mir so ähnlich auch schon oft Gedanken gemacht habe. Wen ein bestimmtes Thema interessiert und neugierig macht, die möchte bestimmt auch Dinge ausprobieren und vielleicht auch tiefer in das Thema einsteigen. Ich kenne es von mir, dass mich bestimmte Tools und Gadgets begeistern und es macht Spaß die zu kaufen und auszuprobieren. Aber die sind ja leider kein Erfolgsgarant und wenn man später feststellt, dass das Thema doch nicht so fesselnd ist wie anfangs gedacht, dann hat man im Zweifelsfall eine teure Ausrüstung die in der Zimmerecke verstaubt. Nicht nur deswegen finde ich persönlich gut, wenn man klein anfangen und puristisch einsteigen kann. Aber dir geht es glaube ich mehr um den Bereich, wo jemand schon fortgeschrittener ist?

Luise: Nicht nur. Ich glaube, das was mich umtreibt, ist der Moment… Vielleicht sogar auch Glaubenssatz, dass es nur ein passendes Ding braucht und schon läuft es. Ich habe das Gefühl, es gibt eine Angst davor Dinge noch nicht wirklich zu können, zu lernen, besser werden zu müssen… Eigentlich doch eher dürfen.

Marcus: Hm. Interessant. Es gibt ja den Spruch, if you want to get better at something, you must have the courage to suck at first. Oder so ähnlich, also sinngemäß, wenn du etwas lernen oder besser werden willst, dann musst du erstmal den Mut haben, “schlecht” zu sein. Schlecht jetzt extra in Anführungszeichen, weil man bei einer Einsteigerin ja fairerweise nicht die gleichen Maßstäbe setzen darf wie bei einer Meisterin des Fachs, die vielleicht schon viele Jahre übt. Aber wenn man begabt ist, dann ist man es vielleicht gewohnt, sich nicht allzu sehr anstrengen zu müssen bis man etwas passabel beherrscht und hat möglicherweise deswegen die Herausforderung, beim Durchhaltevermögen sich besonders anstrengen zu müssen. Aber mir gefällt besonders das “dürfen” bei dir: Auch wenn es jetzt kitschig klingt, es ist eben auch der Weg das Ziel. Wenn ich zum Beispiel zeichne, frage ich mich, macht es dir jetzt Spaß zu zeichnen, auch wenn das vielleicht nicht so aussieht, wie ich mir das Ergebnis wünsche.

Luise:  Das finde ich super! Die Frage nach dem Spaß! Da möchte ich gleich noch drauf zurück kommen! Im ersten Moment frage ich mich, warum tut es uns weh noch nicht gut in etwas zu sein? Warum brauchen wir den teuren Stift, das Notizbuch oder eben andere Gadgets und hoffen, dass die uns besser machen, statt darauf zu vertrauen, dass wir Dinge lernen können?! Ich schreibe das gerade sehr verallgemeinernd. Ich habe die Vermutung, dass das hinter den Fragen nach den Tools steht und ich merke es oft bei mir selbst. Im Bereich der Sketchnotes, aber auch beim Gärtnern. Menschen scheinen Dinge perfekt zu beherrschen und ich frage mich: liegt es am Spaten, der Gießkanne oder dem Papier? Ist der Prozess des Lernens und des Scheiterns zu unsichtbar? Ist das Spaß haben am Wachsen, an den Prozessen, der Entwicklung zu wenig präsent? Ich kenne dich auch als begeisterten Sportler, wie geht es dir damit im Sport? Oder als Barista?

Marcus: Das steckt jetzt viel drin und das sind viele spannende Fragen. Vielleicht ist es so, dass man mit den Fähigkeiten, die man hat eben auch die Einsicht fehlt zu erkennen, woran die vermeintlichen Schwächen liegen. Wenn ich jetzt beispielsweise mir ein Brushlettering ansehe und ich kriege das noch nicht so hin, weil mir z.B. die Pinselspitze zu weich ist, weiß ich noch nicht, dass ich vielleicht mehr üben muss, weil das bei anderen so leicht aussieht und ich mir sage, vielleicht sind andere Stifte ja besser. Das kann ja auch motivierend sein, wenn man eine schöpferische Unzufriedenheit hat, nur wenn daraus die Jagd nach dem Wundertool wird, dann bringt einen das vielleicht nicht dahin, wohin man will. Du fragst nach dem Prozess von Lernen und Scheitern – meine Hypothese ist, es könnte an der Schule liegen. Das ist ja unser erster Kontakt mit Lernen und sicher ein besonders prägender, wenn nicht sogar der prägendste. In der Schule wird das Ergebnis zelebriert und weniger, wie sehr sich jemand bemüht oder weiterentwickelt. Das ist für das Ego nicht schön und man verinnerlicht möglicherweise Glaubenssätze, die für die persönliche Weiterentwicklung nicht hilfreich sind.

Luise: Marcus! Das ist ein bombastischer Impuls von dir. Die Fähigkeit zur Einsicht bzw. die Fähigkeit die eigenen Schwächen einzuschätzen! Das bringt mein Denken und meine Annahmen noch mal in eine andere Richtung. Vergleichen wir uns zu sehr, weil das die einzige Methode ist, die wir kennen, um unser Noch-nicht-Können in Relation zu setzen? Mir kommt dazu gerade eine Aussage in den Kopf, die ich irgendwo aufgeschnappt habe: Die einzige Person mit der wir uns vergleichen sollten, sind wir selbst. Vielleicht wird der Vergleich zu sehr im Außen und dann auch noch bei Profis gesucht. Die sind eben das “Ideal” dem wir nacheifern. Das würde auch zu deinem Punkt mit der Schule passen. Ich habe Schule und vor allem Benotungen immer als Abgleich innerhalb des Klassenverbands erlebt. Es gab Klassenbeste und dann wurden alle dahinter entlang sortiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal den Moment gab, dass wir einen Blick zurück gewagt hätten: Schuljahr zu Ende, lasst uns mal schauen, wo wir angefangen haben und wo wir jetzt stehen… Wäre das ein Weg, um Lernen und Prozesse leichter oder bewusster zu machen?

Marcus: Vergleichen liegt uns wahrscheinlich im Blut, ich vermute, dass das menschlich ist. Zunächst ist das ja auch nicht schlimm, es kann ja auch motivierend sein. Es ist aber auch zweischneidig, wenn ich mich immer nur mit besseren Menschen vergleiche und dann hart mit mir selbst bin. Das ist auf Dauer sicher frustrierend. Hinsichtlich der Erkenntnisse meine ich aber auch, dass man einfach viele blinde Flecke hat. Dinge, von denen man nicht weiß, dass man sie nicht weiß. Bei Schulnoten bin ich zwiegespalten: Einerseits wäre es schön, wenn Kinder und Jugendliche individuell und qualitativ bewertet würden. Andererseits ist es im Erwachsenenleben ja so, dass man nicht nur ständig, sondern auch oft ungerecht bewertet wird. Ist das vielleicht eine Lektion, die man tatsächlich fürs Leben lernt? Den Vorschlag, den du machst, am Ende eines Schuljahres ein Resume zu ziehen finde ich gut. Vielleicht wird das auch schon gemacht? Bestimmt ist es sehr befriedigend, wenn man auf bereits geleistetes zurückblicken kann und das könnte auch für kommende Lehrinhalte motivierend wirken.

Luise: Beim Vergleichen ist dieser Aspekt mit den Vorbildern, die auch motivierend wirken für mich wichtig, dass Vergesse ich (zu) oft. Wahrscheinlich ist der Trick selbst zu merken, wann das Vergleichen eine negative Wendung nimmt. Bei diesem Blick zurück ist mir noch eingefallen, dass ich es immer super spannende finde, wenn Menschen alte Skizzenbücher hervorkramen und zeigen.. Dadurch werden Entwicklungsschritte auch noch mal schön deutlich und es nimmt mir die Illusion, dass andere “schon immer” so toll gezeichnet haben, oder ähnliches. Vielleicht sollten wir das häufiger wagen: Einen Blick zurück und dann einen Blick nach vorn. Was meinst du bei der Lektion, da muss ich nochmal nachhaken?

Marcus: Naja, es gibt ja diesen Spruch von Seneca, dass wir nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen. Wird ja gerne und sehr oft falsch, nämlich umgekehrt, zitiert. Aber in der Schule lernt man ja nicht nur die Dinge, die im Unterricht vermittelt werden. Da gibt es ja auch soziale Kompetenzen und soft skills. Das klingt jetzt vielleicht hart und ich empfinde das auch so, aber es gibt auch schlechte Erfahrungen, die zum Menschsein dazu gehören und an die wohl keiner vorbeikommt. Vielleicht hilft das, in Zukunft damit umzugehen?

Luise: Okay, Schule ist der Ort an dem wir unsere ersten, bewussten, Lernerfahrungen machen. Zumindest in dem Bereich in dem uns bewusst ist, dass wir formal lernen. Das hast du ja schon angeführt, das prägt unser weiteres Lernen. Da bin ich bei dir. Und auch negative Erfahrungen, der Umgang mit ihnen, das ist etwas das zum Leben dazu gehört. Wie können wir damit besser umgehen? Wir haben jetzt schon erkannt, dass es vielleicht schwer fällt die eigenen Leerstellen, oder vielleicht Lernstellen, zu erkennen und dort die einzig bekannte Lösung das Vergleichen mit anderen ist. Und dass es hilfreich sein könnte sich mit sich selbst zu vergleichen, einen Blick zurück zu wagen. Wie können wir der Erkenntnis des “Nicht Perfekt seins” begegnen, wenn wir erkennen, dass uns das Wunder-Tool alleine nicht helfen wird!? Ich wollte ja gerne noch mal auf deine Punkt mit dem Spaß am Prozess zurück kommen, wäre das jetzt der passende Punkt? 

Marcus: Ja, das finde ich gut, dass du den Spaß nochmal ansprichst! Ich glaube, wir müssen jetzt selber aufpassen, dass wir uns jetzt nicht ein Wundertool basteln, mit dem wir dem Frust über das vermeintliche Nicht-Perfektsein begegnen. Es gibt bestimmt einige Wege, wie Menschen damit umgehen. Es wäre schön, wenn unsere Leser vielleicht in den Kommentarbereich ihre Mindsets mit uns teilen könnten. Das heißt aber nicht, dass ich mich vor einer Antwort oder dem Versuch einer Antwort drücken will. Man kann sich im Leben ja nicht immer aussuchen, womit man sich beschäftigen muss. Aber wenn ich schon ein Hobby habe, dann wäre es doch schön, wenn ich in diesem Bereich, in meiner freien und eigenen Zeit, mich mit Dingen beschäftige, an denen ich auch Spaß und Freude habe. Wenn man Glück hat, ist das auch in anderen Lebensbereichen so. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, nur wenn ich etwas gern mache und Freude an der Tätigkeit habe, kann ich auch auf längere Sicht besser werden. Ansonsten ist es bestimmt sehr schwer, motiviert zu bleiben. Bestimmt ist es auch hilfreich, wenn man nicht zu hart mit sich selbst ist und nachsichtig im Hinblick auf “Fehler” ist. Sozusagen, happy little accidents oder den Perfektionismus einfach mal in die Cafeteria schicken*!

Luise:  Den Perfektionismus einfach mal in die Cafeteria schicken! An dem Punkt kommen gerade, glaube ich, viele Aspekte zusammen: Der bisher erlernte Umgang mit Lernstellen, das Vergleichen und Lernerfahrungen aus der Schule. Häufig gibt es ein Ziel oder ein perfektes Ergebnis dem entgegen geeifert wird. Nur wo bleibt der Spaß? Vielleicht sollten wir uns häufiger Freiräume nehmen in denen wir uns bewusst nicht vergleichen, nicht auf die Fitness-Uhr schauen oder uns Vorbilder suchen. Egal wie motivierend dieser Ansporn sein kann. Und genießen den Moment und die Freude, die wir genau in diesem erleben. Gerade bei Hobbies, du hast es ja schon angesprochen, geht es doch darum freie Zeit mit etwas zu erfüllen, dass mir ein gutes Gefühl gibt. Wieso besser werden wollen, wenn es sich nur gut anfühlen sollte? Kann das unser Wunder-Tool sein? Die Akzeptanz, dass es gar nicht perfekt werden muss? Oder gibt es doch eines?

Marcus: Tja, das sagt sich jetzt so leicht, aber ich glaube auch, es wäre schön, wenn man eine gewisse Leichtigkeit zumindest für einige Bereiche und für einige Augenblicke des Lebens mitbringen könnte. Wenn man den Augenblick genießen kann. Als Sinnbild für Leben und Augenblick genießen, nehme ich mal ein Picknick. Da ist es ja auch nicht so, dass ich Weltmeister im Picknicken werden will. Sondern ich freue mich über das schöne Wetter, die nette Begleitung, das leckere Essen und über die Ameisen. Da brauche ich auch nicht die weichste, beste Decke, sondern es reicht, wenn ich nicht direkt auf dem Boden sitzen muss. Wenn ich diese Einstellung auf mein Hobby übertragen kann, das wär doch schön, findest du nicht?

Luise: Mega! Den Perfektionismus schicken wir in die Cafeteria und mit unseren Hobbies gehen wir besser Picknicken statt sie und uns maximal zu optimieren!

 

*Das Zitat „Den Perfektionismus einfach mal in die Cafeteria schicken!“ stammt von Tanja Wehr und ist aus der ersten Sketchnote-Starthilfe