Als ich noch meinen VHS-Kurs unterrichtet habe, war ich es irgendwann nach dem dritten Durchgang leid nach 5 Semestern automatisch in die Steinzeit und zu den Anfängen der Kunst zurück zu düsen. Ab da gab es dann nur noch „Mittwoch mit Kunst“ und die Teilnehmenden mussten mit meiner Themenwahl klar kommen. Eine Tarotkartenlegerin hat mir, als ich 14 war, bei einem Mittelaltermarkt die Karten gelegt und unter anderem gesagt, dass ich herrschsüchtige Tendenzen habe. In dem Kurs konnte ich das dann endlich mal ausleben. Ein Thema, das sehr beliebt war und wovon die Leute immer wieder gesprochen haben, war „Rätsel in der Kunst“. Als ich vor kurzem mal meine Berge von Papier sortiert habe, ist mir das Handout von dem Kurs in die Hände gefallen und ab da haben sich meine Gedanken immer mal wieder mit dem Thema Rätsel beschäftigt.
Warum findet man Rätsel so faszinierend und warum findet man es so befriedigend Rätsel zu lösen? Banale wie etwa das Kreuzworträtsel in der Zeitung oder das Sudoku, schwierigere wie die „Um die Ecke gedachten“ in der ZEIT oder ganz schwierige wie wissenschaftliche Beweise oder rätselhafte Relikte aus der Vergangenheit. In Bahnhofsbuchhandlungen sind große Regale mit Rätselheften aller Art gefüllt und in annähernd jeder Zeitung findet man irgendwo eine kleine Rätselecke. Und nicht zu vergessen, die Begeisterung für Escape-Räume oder Kriminalfälle und das schreibe ich hier als jahrzehntelanger Fan der Drei ??? und leidenschaftliche Krimileserin. Ich rate immer mit, wer das Verbrechen denn begangen hat. Aber zurück zu meinem Kurs.
In der Kunstgeschichte kann man zwei Rätselarten mehr oder weniger als Kategorien festlegen:
Rätselhafte Herstellung
Rätselhafte Bedeutung
Beispiele für das erste wären etwa Stonehenge oder die Eisensäule von Qutb, auch die Theorien über den Bau der Pyramiden sind nicht einheitlich, es gibt die Wandmalereien im Kloster Cozia, die auch 600 Jahre nach ihrer Entstehung nichts von ihrer Leuchtkraft verloren haben und auch bei den Kolossalstatuen auf den Osterinseln gibt es so einige ungeklärte Fragen. Bei der Frage nach dem Inhalt sollte man sich mal das Voynich-Manuskript anschauen, zu dem quasi im jährlichen Rhythmus sensationelle Entschlüsselungstheorien veröffentlicht werden, die von dänisch über eine nicht bekannte protoromanische Sprache bis hin zu hebräisch gehen oder die Quipu und Tocapu der Inka . Dann gibt es zB noch das Porträt von Gabrielle d‘Estrées und ihrer Schwester im Louvre. Und es sollte noch der Mechanismus von Antikythera erwähnt werden, eine unfassbar präzise astronomische Uhr aus vorchristlicher Zeit. Weit aus präziser als vieles was bis zur frühen Neuzeit gebaut wurde. Da frag ich mich dann immer, wieso das Wissen über die Herstellung und natürlich auch die Inhalte verloren gegangen ist. Und die Liste könnte ich noch sehr viel länger werden lassen. Manchmal sind auch beide Rätsel kombiniert, also wie hat man das geschaffen und wofür ist es gut. An dieser Stelle wird es besonders kniffelig.
Eine Art von Rätsel, die mich persönlich wirklich fertig macht ist, wenn man quasi das Rätsel lösen könnte, aber sich aus irgendwelchen Gründen Zeit lässt. Für ungeduldige Seelen wie mich, ist das eine echte Qual. Ein Beispiel gefällig? Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass es bei jedem von mir beschenkten Menschen so ist, die oder der sich Zeit mit dem Auspacken lässt und damit auch mit der Lösung des Rätsels, habe ich mit meiner Geschenk-Idee ins Schwarze getroffen, oder nicht. Aber kommen wir zu relevanteren Dingen.
Vielleicht sagt euch der Name Qin Shihuangdi nicht unbedingt sofort etwas, aber wenn ich dann die kleine Ergänzung Terrakotta-Armee mache, wisst ihr Bescheid. Genau, das ist der Kaiser der 210 v.u.Z. in einem der größten Grabmonumente der Welt beigesetzt wurde. Und mit ihm eine riesige Armee aus Terrakottakriegern. Die wären eine eigene Artikelreihe wert, aber ich will ja bei DEM Rätsel bleiben, das hier noch zu lösen ist. Vor viiiielen Jahren hat man in diesem wirklich weitläufigen Grabkomplex das Grab des Kaisers gefunden. In Quellen, die ungefähr 100 Jahre nach dem Bau verfasst wurden, wird beschrieben wie das Innere aussieht. Flüsse und Ozeane wurden mit Quecksilber nachgebaut, die Decke zeigt den Sternenhimmel mit Perlen und Edelsteinen als Himmelskörper der Boden das Herrschaftsgebieten des Verstorbenen usw. und als man in der Jetztzeit Sonaruntersuchungen des Grabhügels unternommen hat, fand man Hinweise auf erhöhte Quecksilberkonzentration. Ist das zu fassen? Und hat man dann mal schnell aufgemacht um nachzusehen? Nein, natürlich nicht, denn man wird sich Zeit lassen. Okay das wäre bei den Terrakottakriegern auch gut gewesen. Da hat man nämlich erst in den 1990er Jahren endlich eine Methode gefunden, dass die guten Kerle nicht gleich zu Staub zerbröselt sind, als man sie aus ihrem erdigen Grab befreit hat, geschweige denn, dass man noch irgendwelche Reste der üppigen Bemalung gerettet hätte. Das geht nun immerhin. Dauert, aber geht und bei dem Grab, da wartet man nun auch bis die Technik weiter ist, um keine kostbaren historisch sensationellen Artefakte zu zerstören. Das ist verständlich, macht mich als neugierigen Menschen aber schon ein wenig wahnsinnig. Ungelöste Rätsel und Geduld sind in meiner Mag-ich- bzw. Habe-ich-Liste nicht zu finden.
Ich habe dann ein wenig geschaut, warum wir Menschen Rätsel so spannend finden. Die Erklärungen sind alle ähnlich. Wir rätseln so gerne, weil es hier garantiert eine Lösung geben wird und es sehr befriedigend ist, sie zu finden. Außer bei sehr komplexen wissenschaftlichen Rätseln natürlich, da kommt man unter Umständen in seiner gesamten Lebenszeit nicht zu einer Lösung. Das ist dann natürlich auch forscherischer Ehrgeiz. Das Lösen von rätselhaften Fragestellungen ist uns aber auch evolutionär innewohnend und ein Stück archaische Überlebensstrategie. Survival of the fittest eben. Und lösen wir Rätsel erfahren wir etwas Neues, etwas das wir vorher noch nicht wussten. Das finden wir Menschen offensichtlich angenehm. Ich auf jeden Fall.
Luise Wolf
Gerade lese ich „Vom unerwarteten Vergnügen, ein völlig normales Leben zu führen“ von Catherine Gray und dort gab es auch einen kurzen Schwenk zu Krimis. Dort wurden neurowissenschaftliche Untersuchungen aus Durham angeführt. (Anspruchsvolle) Krimis zu schauen wäre gesundheitsförderlich, da es Adrenalin ausschüttet und die Anspannung das Gehirn stimuliert. Ich finde das lässt sich, wie dieser Artikel sehr schön aufzeigt, auch auf Rätsel übertragen!