Ich lese gerade Fränzi Kühnes „Was Männer nie gefragt werden“ und musste über die an sie oft gestellte Frage „Können Sie für andere Frauen ein Vorbild sein?“ viel nachdenken. Zeitgleich postete jemand in meiner Instagram-Bubble ein Video von einer weiblich gelesenen Person, die sagte „Frag einen Mann nach drei weiblichen Vorbildern, die er nicht persönlich kennt – viele können nichtmal eine Frau nennen!“… als wäre das eine „red Flag“ und ich fühlte mich ertappt… kann ICH drei weibliche Vorbilder nennen? Oder wenigstens eine egal welchen Geschlechts? Haben andere Menschen Vorbilder?

Eine kleine, nicht-repräsentative Umfrage in meinem Freundeskreis zeigte: Ich bin nicht allein mit meiner gefühlten Vorbildlosigkeit. Ein Vorbild wird häufig als eine Art glorifizierte Person verstanden, der man nacheifert. Ich habe auch an die „Vorbildfunktion“ gedacht, die ich als Krav Maga Instruktorin wohl innehabe (was aber nichts mit glorreichem Handeln zu tun hat). Im folgenden verstehe ich ein Vorbild als bestimmtes Verhalten einer Person, das wir kopieren (ob bewusst oder unbewusst, und aus welchen Gründen auch immer).

Wir lernen durch Imitation, nicht nur beim Aufwachsen. Ich sortiere hier mal ein Paar meiner Vorbilder (demnach habe ich doch einige:)) chronologisch:

  1. Frühes Kindes-/Jugendalter: Engere Familie, Freundeskreis und Lehrerkräfte

Als Kinder sind unsere Eltern und andere Erwachsene in unserem nächsten Umfeld oft „die größten“. Kinder ahmen deren Verhalten, Sprache und Umgang mit anderen nach und werden geprägt – die Entscheidung den direkten Bezugspersonen nachzueifern ist (bis zu einem gewissen Alter) ja (leider) keine bewusste…

El Hotzo „Kinder zu haben muss so interessant sein, du weißt nie ob das was du gerade getan hast das Kind vielleicht versehentlich für immer traumatisiert“ (Tweet gesehen bei Instagram).

Seit der Ausbildung zum Kids Instructor wurde mir diese besondere Verantwortung sehr bewusst… „Kids are like Tape Recorders“ sagte einer unserer Ausbilder einmal. Dies war damals bezogen auf Schimpfwörter, die man sich insbesondere im Kinderunterricht verkneifen sollte, aber ich finde es geht noch viel, viel weiter. Den Kindern zuhören, sie Ernst nehmen, Anweisungen erklären, als Selbstverteidigungs-Trainerin aufzeigen, wie ich Konflikte löse und wie ich in Stresssituationen handle, überträgt sich natürlich unmittelbar in deren Leben und deren Umfeld. Neben den Eltern sehe ich also auch Erziehende, Lehrende und Coaches als unmittelbare Vorbilder. Je älter das Kind, desto eher entscheidet es selber aber auch durch die Meinung der Eltern (und anderer Vorbilder), von wem es was lernt.

2. Junge und alte Erwachsene: Peer-Group

Je älter wir werden, desto eher orientieren wir uns an gleichaltrigen oder gleichgestellten im sozialen Umfeld. Evolutionär macht das natürlich Sinn – solange wir abhängig (also nicht allein überlebensfähig) von Erwachsenen sind, eifern wir ihnen nach. Sobald wir laufen und kommunizieren können, vergleichen wir uns mit anderen. Schon bei unseren 5-jährigen fällt der ausgeprägte Wettbewerbssinn im Krav Maga Unterricht auf (schneller laufen, besser rechnen können als die anderen), die anderen sind dann weniger Vorbild als das sie so schnell, schlau, beliebt sein möchten wie sie, also einer Eigenschaft nacheifere. Ich möchte Teil einer Gruppe sein und als Mitglied dieser Gruppe wertvoll sein (im evolutionären Kontext gesehen ist die Überlebenswahrscheinlichkeit natürlich in der Gruppe größer als allein).

3. Echte oder fiktive Menschen mit bestimmten Fähigkeiten: Wir orientieren uns an dem, was uns vorgelebt wird

Wir ziehen den Kreis jetzt noch weiter: Von direkten Bezugs- und Erziehungspersonen und über die Peer-Group hinaus, zu Menschen im weiteren Umfeld, inklusive solchen aus den Medien. Teenager eifern InfluencerInnen und YouTuberInnen nach, andere wollen so gut präsentieren können wie die KollegIn, so erfolgreich sein wie die NachbarIn, so eine große Followership haben wie andere aus meiner Bubble. Die meisten Menschen in meiner Umgebung sagten sie würden niemanden besonders als Vorbild glorifizieren, manche aber bestimmte Fähigkeiten anderer bewundern und/oder sich daran ein Beispiel nehmen. Viele nennen SportlerInnen und Athleten als Vorbilder (hiervon könnte ich auch einige nennen, darunter Annie Thorisdottir oder Rose Namajunas), aber auch MusikerInnen, erfolgreiche, inspirierende Menschen, von denen man Dinge für sein eigenes Leben, Ressourcen und Handlungsweisen übernehmen möchte.

Eine Sonderform sind für jedes Lebensalter Charaktere aus Büchern, Filmen, Youtube – inklusive Comiccharaktern, SuperheldInnen und historischen Figuren: Wir versetzen uns ja automatisch in die ProtagonistInnen oder lernen beim konsumieren der Medien, was gesellschaftlich oder in einem bestimmten Kontext erstrebenswert ist (zu sein scheint)… je mehr natürlich, desto eher ich mich mit einer Figur identifizieren kann, aber das große Fass der Repräsentation kann ich hier nur streifen. Ich kann nur sagen, wie krass das Gefühl neulich nach dem Schauen des Films Everything, Everywhere, All at Once war (Artikel auf unserem Blog hier), als ich aus dem Kino kam: „WOW, SO fühlt es sich an, wenn eine Frau im Mittelpunkt steht??!! (Und nicht nur die Frau, die Schwester, oder die Mutter von jemandem ist)“… ich hoffe daher dass die Medien, die wir konsumieren, diverser und vielfältiger werden und ich möchte dazu beitragen, mit den AutorInnen, PodCasterinnen und Filmen, die ich hier vorstelle.

Nun kommen wir damit auch zum Thema Vorbild und zu der Frage, die Fränzi Kühne in ihrem Buch schildert. Ich erkläre kurz worum es geht: Fränzi ist Vorstandsmitglied, Gründerin, Führungskraft, Unternehmerin, Autorin – als solche wurde und wird sie zu vielen Interviews eingeladen und bekommt als eine Frau in (noch) Männerdominierten Bereichen häufig Fragen gestellt, die mehr oder weniger mit veralteten Rollenbildern zu tun haben: „Wie bringen Sie Familie und Karriere unter einen Hut“ oder eben „Können Sie für andere Frauen ein Vorbild sein?“ Fränzi erklärt, dass sie sich der Verantwortung der Repräsentation natürlich bewusst ist aber… die Kehrseite sei eben auch, dass es nicht zu Wandel führe, wenn man als Ausnahme gesehen und behandelt wird. So wird sie (wie glaube ich viele weibliche, queere, behinderte Personen und POC) allein auf diese eine Eigenschaft reduziert und nicht für das gesehen wird, was die Person leistet – wie in Fränzis Fall. Sie wird in Interviews nicht wie andere in ihrer Peer-Group entsprechend ihrer Expertise nach Digitalisierung, Investments, Trends der Branche gefragt sondern eben… wie ist es als Frau in deiner Position?

Ich bin natürlich keine Person, die zu Interviews geladen wird oder annäherndes wie Frau Kühne erreicht hat, aber bewege mich im Krav maga als eine der wenigen (aber zum Glück immer größer werdenden Anzahl an) Frauen, und mich freut es zutiefst, wenn ich irgendwo im Krav Maga Kontext auftauche und Schülerinnen mich ansprechen „du bist die erste Instruktorin die ich sehe, das ist so cool“… natürlich hoffe ich, dass viele andere Frauen dadurch ermutigt werden, ähnliches zu tun und die Tatsache immer weiter normalisiert wird. Und ich möchte nicht als „die Expertin“ für Frauenseminare und Kinderunterricht gesehen werden, sondern als Expertin für Krav maga. Ich möchte gefragt werden, wie ich Messerattacken im Zug überstehe, wie ich mich taktisch bei mehreren bewaffneten Angreifern verhalte usw …

Nun zur Vorbildfunktion: Ich handle ich in meiner Schule vor meinen Mitgliedern und meinen angestellten ja auch nicht als Vorbild für Frauen, sondern als Vorbild für Mitmenschen, SportlerInnen, TrainingspartnerInnen und Führungskräfte. Zum Beispiel steht die Sicherheit und Unversehrtheit meiner Trainingspartnerin/meines Trainingspartners im Mittelpunkt – natürlich trainieren wir so realistisch wie möglich, aber meine Trainingspartnerin/mein Trainingspartner vertraut mir gerade Ihre/Seine Unversehrtheit an und das muss natürlich mit Respekt gedankt werden. Oder: Ich achte beim Fitness auf meine eigene Leistung und darauf mich weiter zu pushen, und nicht darauf, auf den Menschen neben mir zu besiegen. Ich versuche Werte vorzuleben, ich will auch, dass alle Menschen, ob alt, jung, klein, dick oder gehörlos oder im Rollstuhl, die gleichen Möglichkeiten haben im Unterricht zu wachsen, und das es normal ist, dass wir gebärden können, und andere Sprachen sprechen um nicht-deutschsprachige abzuholen und so weiter (ich bin noch nicht da, aber ich arbeite daran).

Wenn ihr bis hierhin gelesen habt: Wo seid ihr Vorbild oder versucht vorbildlich zu handeln? Habt ihr Vorbilder oder gibt es Menschen, denen ihr nacheifert?