In der Schule habe ich es gehasst, wenn wir im (Deutsch-)Unterricht reihum laut einen Absatz vorlesen mussten. Ich war so aufgeregt, hatte Angst etwas falsch zu machen, dass ich mich erst recht verhaspelte, ins Stottern geriet und alle Buchstaben zu einer einzigen grauen Masse verschwammen. Und im Kontrast dazu, wenn ich nicht musste, habe ich eine Pferde-Geschichte nach der anderen weggeatmet. Habe mein Taschengeld eisern zusammengehalten, damit ich mir den nächsten Band von “Sommer auf dem Ponyhof” (oder wie auch immer die Bücherreihe hieß, meist ein schwarzes Pferd auf dem Cover, falls jemensch Tipps dazu hat, ich freue mich 🙂 ) kaufen konnte. Später kamen dann die dicken Harry-Potter-Wälzer, Eragon der Drachenreiter und auch Klassiker wie Bambi oder Unten am Fluss dazu.

Der gelernte (Erfolgs-)Druck beim Lesen findet sich in meinem Leseverhalten an einigen Stellen wieder:

Bücher kaufen statt ausleihen

Büchereien stehen voll mit Büchern. Für mich sind es magische Orte und antikapitalistische Bastionen. Trotzdem kaufe ich lieber Bücher, als dass ich sie mir ausleihe. Klar können Leihfristen verlängert werden. Ich habe selbst während des Studiums in einer Bibliothek gearbeitet. Ich kenne Tricks, Kniffe und die Magie des Anschaffungsvorschlags. Ich leihe mir  Bücher ungerne aus, egal ob von Freundinnen und Bibliotheken. Die Ausleihfrist macht Druck und ich habe Angst das Buch in der gesetzten Frist nicht zu schaffen. Mitten im Lesen und halbfertig ein Buch zurückgeben zu müssen ist ein Horror für mich. Dass ich leidenschaftlich Eselsohren in Buchseiten mache, ist dabei ein anderes Thema. Wie gesagt, ich habe selbst in einer Bibliothek gearbeitet und Markierungen jedweder Art in ausgeliehenen Büchern sind uncool – macht keine Markierungen in Bücher, die nicht Euch gehören! Nicht als Eselsohr und nicht mit Bleistift! Und wenn ihr Klebezettel reinmacht, dann fummelt die auch wieder raus!!!

Die von anderen gesetzten Fristen stressen mich, weil sie mir aufzeigen, wie schnell oder normal die Lesegeschwindigkeit anderer ist. Ich habe das Gefühl, dass ich hinterherhinke. Die Bewertung von Lesegeschwindigkeiten erschafft eine Form von (Erfolgs-)Druck. Und darum sollte es meiner Meinung nach nicht beim Lesen gehen. Für mich geht es um das Eintauchen in andere Welten, neue Gedanken, mich wiederfinden und in meiner Fantasie verlieren. Ich mag es mich über gelesene Bücher auszutauschen, wenn ich an einen Lese-Zirkel denke wird mir anders…

Leselisten und Challanges

Auf Social-Media gibt es einige Profile, Hashtags und Communitys, die sich unter anderem mit der Freude am Lesen oder verschiedenen Buchgenres auseinander setzen. Und es gibt auch verschiedene Challenges, wie das “Dicke Bücher Camp” oder “52 Bücher ein Jahr” in welcher ein Buch pro Woche gelesen werden soll. Mich beeindruckt der Eifer und die Lesebegeisterung. Ich bin immer wieder dankbar für die wunderbaren Leseempfehlungen und Rezensionen. Und ich kenne das auch, manchmal halte ich ein Buch in den Händen und inhaliere es nur so weg. Augen und Finger fliegen über Buchstaben und Seiten. Und dann gibt es Bücher, die manchmal mehr Zeit brauchen. Das Thema ist schwer (auch wegen der Seitenzahl), emotional oder weil es thematisch viel vermittelt. In diesem Fall ist es doch eigentlich ein gutes Zeichen, wenn ich mir und dem Buch etwas Zeit gebe. Ein bisschen, als würden wir beide dekantieren. Mit Blick auf diese Schnell- oder Viellese-Challenges wankt dann mein Wohlwollen mit mir selbst.

Und dann stehe ich neulich in meinem Lieblingsbuchladen und berichte der Lieblingsbuchhändlerin von meiner kurzen Panik, als der Noch-Lesen-Buchstapel sich dem Ende neigt. “Du liest aber auch ziemlich schnell, bei der Anzahl von Büchern, die du hier raus trägst.” Und dieser Satz passte garnicht zu meinem Selbstbild als Langsamleserin. Wo es doch Leute gibt, die knallhart 52 Bücher im Jahr lesen oder in vier Wochen sechs Bücher mit mehr als 500 Seiten. Das musste ich verarbeiten und zwar in Form dieses Artikels…

Lese-Kriterien

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass langsames Lesen das Problem ist. Es ist die Bewertung, was als langsam und schnell oder -viel bedeutender- was als positiv und negativ betrachtet wird. Und dabei spielen Produktivität und Effizienz eine entscheidende Rolle, wer Dinge schnell erledigt ist effizient, ist gut im Sinne der Produktivität… Diese Gleichung scheinen wir (scheine ich, vielleicht geht es Euch ja nicht so) mit ins Lesen zu nehmen und als Maßstab anzulegen. Das müssen wir aber nicht, wie wäre es mit anderen Kriterien? 

  • der größten Erkenntnis, 
  • dem tiefsten Aha-Moment, 
  • hat mich so richtig verschluckt und ich wollte nicht wieder auftauchen, 
  • Sehnsucht nach einer Fortsetzung oder ganzen Buchreihe,
  • hat mich neuen Themen näher gebracht,
  • oder hat mir ganz neue Perspektiven aufgezeigt

 

 

Das Foto des Beitragsbildes ist von Jason Leung.