Von einem Buch zum nächsten. Gerade klappe ich das Buch “Die Mitternachtsbibliothek” von Matt Haig zu (sicher ein Buch, dass es auch noch in die Buch-der-Woche-Reihe schaffen wird, nur nicht heute). Achtung dieser Artikel startet mit einem Spoiler: Multiversen. Es gibt unendliche Möglichkeiten. Unendliche Entscheidungen, die wir treffen könnten. Dinge für und gegen die wir uns entscheiden. Das gilt auch, für dass was wir lernen. Manche Entscheidungen fallen bewusst, andere unbewusst. Instrumente, Fremdsprachen, Kreativtechniken, soziale Kompetenzen, Computerprogramme: für alles gibt es ein Angebot bei einem Bildungsinstitut, Firmen und Selbstständigen.

Hinzu kommt das Internet als Pool ständig neuer Informationen. Die Digitalisierung bringt nicht nur Räumen und Plattformen, um sich zu begegnen, mit sich. Sondern die Verfügbarkeit von Informationen scheint sich im Sekundentakt zu potenzieren. Und all die Bücher, die wir lesen könnten (Tanja schrieb einen Artikel dazu). Die Menge, die wir wissen oder lernen könnten scheint unendlich. Und was wir alles schon können, doch in dem wir noch besser werden könnten… Wofür und wo gegen sollen wir uns entscheiden? Wo anfangen?!

Eine Befragung der KfW Research (2017) zeigt, dass die meisten Weiterbildungen, die besucht werden, auf einen beruflichen Nutzen ausgerichtet sind. Erwachsene lernen im formalen Rahmen Neues also vor allem dann, wenn es der beruflichen Weiterentwicklung, Karrierechancen und Beschäftigungssicherheit, dient. Dabei muss ich an das Konzept des Lernkraftunternehmers von Dr. Klaus Hurrelmann denken. Dieses Konzept ist eine Weiterentwicklung der Theorie vom Arbeitskraftunternehmer der Soziologen Voß und Pongratz. Angestoßen wurde die Theorie durch die zunehmende Entgrenzung in der Arbeitswelt. Sind wir vielleicht alle schon mal drüber gestolpert: in den meisten Stellenausschreibungen werden Flexibilität, Eigenverantwortung, Selbstständigkeit und Organisationstalent gefordert. Arbeitnehmende entwickeln laut dieser Theorie stärkere Selbstkontrolle, erweitern ihre Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung und eine Verbetrieblichung ihrer Lebensführung. Immer mehr Dinge liegen in der Verantwortung der Arbeitnehmenden. Wir sind selbst dafür verantwortlich unsere Arbeit zu organisieren, zu koordinieren und möglichst produktiv zu sein. „Bitte schauen Sie sich selbst auf die Finger!“

Diese Gedanken übertrug Klaus Hurrelmann auf Lernende. Unsere Arbeitskraft wird nicht nur durch die beruflichen Anforderungen bestimmt, sondern auch durch Qualifikationen, die wir vorweisen. Bildung ist eine der Schlüsselkompetenzen um den zukünftigen Entwicklungen und Megatrends zu begegnen. Individualisierung ist übrigens einer dieser Megatrends und findet sich auch in Hurrelmanns Konzept: wir sind selbst verantwortlich. Wir müssen attraktiv für den Arbeitsmarkt bleiben. Zertifikate und Abschlüsse sollten aktuellen Entwicklungen und Bedarfen entsprechen. Unser Wissen und Bildung sollen auf dem Arbeitsmarkt verwertbar sein. Und die Verantwortung dafür tragen die Lernkraftunternehmer, also wir selbst. Wir werden Bildungsmanager:innen in eigener Sache. Die Anforderungen steigen und werden individualisiert.

Damit liegen Erfolg und Misserfolg des beruflichen Werdegangs in unserer individuellen Verantwortung. Die Entscheidung über unser Lernen und unsere Weiterbildung wiegt gerade noch ein wenig schwerer, oder? Hier wird deutlich, warum die stärkste Teilnahme an beruflichen Weiterbildungen zu verzeichnen ist. Bei seinem Vortrag auf der ÖFBE-Tagung im Jahr 2013 beschreibt Hurrelmann nicht nur seine Theorie des Lernkraftunternehmers, sondern auch institutionelle Lösungswege. Laut ihm braucht es mehr Räume für individualisiertes Lernen, Bildung und Bildungsinstitutionen sollten verzahnt werden. Auch Bildungseinrichtungen sollten ihren Blick für den individuellen Weg von Lernenden schärfen.

Nur was fangen wir Lernenden damit an? Die Anforderung ist groß, denn das Angebot an Weiterbildungen und Qualifizierungen scheint unendlich. Für diese persönlichen Herausforderungen hat Hurrelmann leider keine Antworten oder Empfehlungen. Mit Hurrelmanns Konzept kann ich mir die Ergebnisse zu Weiterbildungsentscheidungen erklären und ich finde, sie passen gut in gesellschaftliche Beobachtungen, die ich aktuell mache. Doch für mich bleiben einige Fragen offen: Wie sollen wir, ganz individuell, den Überblick behalten? Wie sollen wir die optimale Entscheidung für unsere Zukunft treffen? Wo Zukunft doch so schwierig vorherzusagen ist. Jede Entscheidung für ist ja auch eine Entscheidung gegen etwas (Habe ich gerade im oben erwähnten Buch von Matt Haig gelernt!). Mit all diesen Unsicherheiten müssen Lernkraftunternehmer:innen alleine einen Umgang finden. Wir tragen die Verantwortung für die beste Version unseres Selbst. Ziemlich viel, finde ich.

 

Wer jetzt mit einem kleinen Downer diesen Artikel beendet, der:dem empfehle ich am Donnerstag noch mal vorbei zu schauen. Ich habe da eine Buchempfehlung, die mir einige meiner Fragen beantwortet hat!