Wissend is the new sexy.

Verstehen und Verstanden werden – eine kleine Gedankenflut

Kapitel 1: Ich verstehe dich nicht

Ich habe eigentlich die komplette zweite Hälfte meines Studiums in der Kunsthistorischen Bibliothek als wissenschaftliche Hilfskraft gearbeitet. Die erste Bibliothekarin mit der ich dort zu tun hatte, war eigentlich ziemlich pfiffig, aber auch etwas eingebildet und eitel. Jedesmal, wenn jemand die Räume betrat, der aufgrund beispielsweise seiner Hautfarbe offensichtlich andere Wurzeln hatte als sie, hat sie unfassbar langsam und übertrieben laut mit diesem Menschen gesprochen. Ohne abzuwarten, ob er oder sie deutsch konnte oder nicht. Selbst wenn rauskam, dass betreffende Person offensichtlich des Deutschen evtl sogar besser mächtig war, als sie selbst, hat sie dieses Verhalten nicht ablegen können. Darauf angesprochen, war ihr das nicht mal bewusst, bzw. in Maßen hielt sie es für aufrichtiges Entgegenkommen. Ihr Wunsch war, dass sie verstanden wird und sie hat proaktiv alle Regler auf die passende Stufe gestellt, um dieses Ziel zu erreichen:

  • Verständnisebene Lautstärke (voll aufgedreht),
  • Einfache Sprache (voll aufgedreht),
  • Sprechgeschwindigkeit (voll runter gedreht)

Warum erzähle ich das? Ich war vor kurzem bei einer Konferenz als Graphic Recorderin gebucht. Eine wissenschaftliche Geschichte. Es gab sehr viele Vortragende, von denen einige wirklich verständlich und auch auf die anwesende diverse Zielgruppe Rücksicht nehmend unterhaltsam und informativ ihre Zeit gefüllt haben und es gab solche, die echt kompliziert waren und wo es mir schwer gefallen ist, den roten Faden zu finden und zu visualisieren. Also habe ich mich gefragt, woran das liegt, dass ich als Fachfremde dem einen Menschen mühelos folgen kann und bei dem anderen nichts oder annähernd nichts verstanden habe? Wichtig ist noch zu wissen, dass es eine interdisziplinäre Konferenz war, die das Ziel hatte Synergien zwischen unterschiedlichen Fakultäten, Instituten und Fachbereichen zu finden um gemeinsam Projekte vorwärts zu bringen, die sehr ganzheitlich an Fragestellungen ran gehen sollten. Es war also eine dringende Notwendigkeit sich gegenseitig zu verstehen.

Warum also hat es trotzdem nicht bei allen geklappt? Und es ging nicht nur mir so, sondern war auch Rückmeldung aus dem Publikum.

Es gibt natürlich unterschiedliche Menschen:

1. Die, die sich gerne selbst reden hören

Diesen Menschen ist es egal, ob sie verstanden werden oder nicht, sie wollen einfach nur eine toll formulierte, gerne mit Fachterminologie gespickte Wortflut von sich geben. Das danach interessiert nicht.

2. Die, die geschriebenes Wort als gesprochenes Wort verkaufen wollen

Ob aus Unsicherheit oder aus der Idee, das zwischen gesprochen und gelesen kein Unterschied besteht, es ist keine Rede oder ein Vortrag sondern eine Lesung. Das sollte man sich bewusst machen. Klingt anders und ist in Sprechgeschwindigkeit vorgelesen auch nicht so einfach zu folgen.

3. Die, die Angst haben, dass Sie niemand versteht

„Okay das ist jetzt vielleicht ein wenig komplex, also ich versuch es noch mal anders…“ Leider eiern viele von dieser Kategorie in einer unendlichen Wiederholungshelix rum, was es auch nicht besser macht, wenn man zum vierten Mal etwas eher kryptisches mit anderen komplexen Ideen erklärt bekommt.

4. Die, die wollen, dass Sie nur wenige verstehen

„Ich habe viele Jahre und viel Geld in eine exzellente Ausbildung gesteckt und es würde mir gar nicht gefallen, wenn mich jeder verstehen würde!“ Das hat mir mal ein Forscher von der Uni erzählt. Was soll man da sagen. Hoffentlich versteht es irgendjemand.

5. Die, die wollen, dass möglichst alle sie verstehen

Diese wunderbaren Menschen gibt es auch und sie sind sich nicht zu schade in bester Feynman Manier zu referieren, als ob das Publikum aus lauter Fünfjährigen bestehen würde. Die feier ich immer sehr, denn sie sind nicht weniger gehaltvoll, als alle anderen nur macht es Freude, weil ich von Anfang an mitgenommen werde. Inzwischen glaube ich dass das eine besondere Gabe ist.

Es liegt also oft gar nicht an mir, dass ich zu blöd bin, das Thema zu verstehen, sondern liegt an der Vermittlung. Leider suchen aber die meisten netten Menschen den Fehler bei sich oder noch schlimmer ziehen die Erkenntnis aus der Situation, dass sie kognitiv nicht auf einem Level mit dem Vortragenden stehen. So ein Bullshit. Entschuldigt bitte das drastische Wort, aber es ärgert mich sehr dieses Verhalten an mir und auch an schlauen Menschen in meinem Umfeld zu entdecken.

Kapitel 2 – Verstehst du mich?

Ich arbeite in einem Feld, das noch immer erklärungsbedürftig ist. Sketchnotes und strategische Visualisierung ist nicht so bekannt, wie Grundschullehrer oder Dachdeckerin. Zum Glück ist die Menge der Menschen, die noch nie etwas davon gehört haben, weit aus kleiner als noch zu Beginn meiner Selbständigkeit, aber auch durch vermehrte und Irritationen hervorrufende Fehlinformation im Internet, muss ich regelmäßig Kunden erklären, dass eine schnell skizzierte Glühbirne keine Sketchnote sondern ein Bildsymbol ist, das man dann aber durchaus für Sketchnotes verwenden kann, aber auch für vielerlei andere Methoden. Deswegen habe ich eine Matrix entwickelt mit deren Hilfe ich meinen Kunden erkläre, was ich zu ihrem Prozess oder Problem beitragen kann, wie ich dabei vorgehe und was mir wichtig ist.

Dabei habe ich dann aber immer noch das Problem, dass ich ja nicht in den Kopf der Menschen schauen kann, um zu sehen, ob da das Verständnislämpchen hell und strahlend leuchtet, ein wenig flackert oder aufgrund meiner, zugegeben manchmal etwas ausufernden, Erläuterungen, das Birnchen durchgebrannt ist. Also wie finde ich den Helligkeitsstand heraus?

Eine Pauschallösung kann ich dafür nicht bieten, aber ich bediene mich einiger Hilfsmittelchen, die ich hier mal mit euch teilen möchte:

Call me Queen of Rückfragen

Ich frage viel, verpacke es in andere Worte und frage nach: Sie haben also verstanden, dass …? Das ist oft schon hilfreich und weniger nervig als man denken mag

Kontext erweitern

Wenn sich der Austausch um ein kleineren Bereich oder ein Detail dreht, einfach mal den Kontext größer ziehen und schauen, ob alle noch dabei sind und das Thema richtig verorten können.

Visualisierung

Einmal alles visualisieren lassen. Können Sie den Prozess einmal kurz skizzieren? Ganz krakelig, kein Thema.

Einfache Erklärung mit Vergleichen bzw. Analogien aus dem Alltagsleben

Also Sie müssen sich das so vorstellen, als ob es in jeder Gemeinde bzw. Landkreis einen eigenen Bundespräsidenten gäbe und einen eigenen Papst und die bestimmen dann welche Konfession Sie haben müssen um dort zu leben (So habe ich mal einen Aspekt des Augsburger Religionsfriedens Cuius Regio eius religio erklärt).

Das funktioniert leider nicht pauschal und auch nicht immer, aber in den meisten Fällen. Und wenn es mal gar nicht funktioniert liegt das meistens an zwei Sachen, die wenig bis gar nichts mit den kognitiven Leistungen zu tun hat, die ein Mensch zu vollbringen in der Lage ist.

1. Ignoranz – jemand will nicht verstehen. punkt

2. Oberflächlichkeit – jemand will sich nicht so weit auf das Thema einlassen, bis es verstanden wird

Fazit:
Wenn etwas für mich unverständlich ist, dann bedeutet das nicht zwangsläufig, dass es das ist, weil ich nicht genug Hirnschmalz habe, um es zu verstehen. Wenn ich etwas von mir gebe, sollte ich überlegen, welcher Vermittlungstyp ich sein möchte. Vielleicht helfen ja meine kleinen Listen ein wenig das besser zu reflektieren.

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  1. Wow! Total interessant! Ich sehe das ganz genauso! Das einzige, was ich immer versuche zu vermeiden, ist genau der Umkehrschluss dieses „Ich habe das nicht verstanden, also bin ich zu doof“, dieses „es ist einfach nur schlecht erklärt“. Da bin ich irgendwie immer noch vorsichtig (ich verstehe jetzt deinen Beitrag so auch nicht, keine Angst, ich will es nur noch mal generell einbringen). Es kann zum Beispiel wirklich sein, dass mir ein Detail fehlt oder entgangen ist, der Absender aber eigentlich versucht hat, darauf hinzuweisen. Ich frage dann immer einfach und finde auch, man kann das machen, ohne Gesichtsverlust beim anderen und ohne eigenen.

    Generell finde ich es toll, dass aus sowas Austausch entsteht. Und dazu muss man fragen. Ich frage auch meine Studierenden ganz oft, ob sie denn verstanden haben, wa sich meine, und versuche es dann anders anschaulich zu erklären, als bisher. Und manchmal, wenn es mir aus dem Stand heraus nicht gut gelungen ist (über Illustration zu sprechen kann ja auch manchmal seeeehr komplex werden!), oder ich das glaube, sage ich auch laut: „Mann, war das jetzt kacke erklärt! Das versteht ja keiner!“ und erkläre es noch mal neu.

    Generell muss man beim Erklären glaube ich oft spontan sein können.

  2. Daniela

    Danke für deine Worte zum Nachdenken, ich gehöre wohl zur Kategorie „Angst haben, dass sie niemand versteht“, da ist also noch Potential.

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